Der junge Goedeschal - Roman
Gefühl erfüllten ihn die stacheligen Streicheleien der borstigen Unterlage. Er weinte haltlos, aber immer von neuem umschlang er mit den Armen seine Glieder, er verknäuelte sie, er biss sich in die Schenkel, seine ahnungslosen Hände umschlangen die Fesseln, streicheltendie Haut der Brust. Bis zur Sinnlosigkeit erschütterte ihn die plötzliche Überwältigung seines Fleisches. Er versuchte seinen Nabel zu küssen.
Aber dann war er zu Tode erschöpft. Langsam wieder zu Atem kommend, auf der Erde liegend, fand er sich tief gefallen, der er sich eben noch so sehr erhoben hatte. Mit gesenktem Blick löschte er das Licht. Im Dunkeln tastete er zum Zimmer empor. Er wagte nicht, ein Hemd anzuziehen, aus Furcht, seinen Leib zu berühren. Man durfte ihn nicht wieder aufwecken. Alles war Lüge gewesen. Dieser Leib war kein Freund, kein Ich, er war der Feind.
9
In das schwere Einschlafen meinte Kai vor dem Fenster die Töne eines Liedes zu hören, der Wind warf sie getrennt gegen die Scheiben. Er hob den Kopf, er lauschte. Aber alles blieb still, und nur im Kopf klang der Widerhall dieser Frauenstimme. Eine törichte, rasende Hoffnung trieb ihn hoch, er lachte, aber dann: »Warum nicht? Sie will mir ein Zeichen geben. Vielleicht liebt sie mich: Ilse oder jene Erschrockene.«
Er stieß gegen einen Stuhl, lauschte: Stille. »Auch ich liebe sie, jene, die mich lieben mag.«
Er schlug die Vorhänge beiseite. Der kleine Schmuckplatz vor dem Fenster, unsicher erhellt von den entfernten Lampen des Bahnhofs, schien zwischen seinem Gebüsch Gestalten zu verbergen. Hörte er nicht reden? Leise öffnete er die Fensterflügel. Die Kälte ließ ihn erschauern, aber die Wange gegen die von Schnee geraute Scheibe gelehnt, lauschte er:
»Liebe Schwester, ich komm ja nicht wieder,
Liebe Schwester, ich kann nicht zurück,
Meine Ehre hab ich verloren,
Denn ich bin nur ein Mädchen fürs Geld.«
Und nun, zwischen Lachen und Beifallsklatschen wiederholt, klang es höhnischer und stolzer für ihn allein:
»Denn ich bin nur ein Mädchen fürs Geld!«
»War es nicht so gewesen: verspottet, feige, krank, im Schmutze liegend, verworfen, gedemütigt – und eine ganze Welt verachten? Fühlen auch sie so? Ein Nichts sein und triumphieren. Ach, ich bin nicht allein! Ich, du dort, viele, viele, ein endloser Zug, Verwandte, Menschen, Schwestern, ersehnen und verachten die Umarmungen eines Lebens, das uns erdrücken will.«
Und er schwur es sich wieder, kraftlos und schwach, durch tausend Demütigungen hindurch, dies zu suchen, immer von neuem, geknechtet, verraten, niedergeworfen – das Leben.
10
Dann, ehe noch die Weckuhr schepperte, war in seinem Halbschlaf der Wind vor den Fenstern und das schräge Stricheln des Regens auf die großen Scheiben. Und ein wenig Schule trat in seinen Traum und das Graue, das mit Nassem abgewischte Kalte – Sallust, »Bellum Catilinae« (»so sterben! so sterben!«), und nun der Wind (»mutterwindallein«), aber schon war dies blässer geworden, die lockeren Gedanken vergingen, eine Wärme stieg auf, sein Bett war erfüllt vonHitze, seine Arme und Beine lösten sich und hoben sich irgendwie auf, einen Augenblick war ein Druck von innen gegen die Stirn da, die Augäpfel drehten sich unter den Lidern ganz um, als wollten sie nach innen schauen. Und während ein Kreisen begann aus vielen Farben, ein Summen wie von der fern durch den Sommer sausenden Trommel einer Dreschmaschine, gingen Blüten in seinen Lenden auf, fleischige, rot verknorpelte Blüten, die zu atmen schienen. Nun lockte es, sie mit den Fingern zu betasten, doch verkrampfte eine Angst die Hände zu einem unlöslichen Knoten, denn diese runden, fleischigen Blumen –
Der Wecker klingelte, schrie, bellte. Ein plötzlicher Schwung warf Kai im Bett herum, so dass er, auf dem Rand sitzend, um sich tastete. »Still du! Der Tag ist wieder da. Wieder ein Tag!«
Vor den Fenstern kaum ein Dämmern. Die Bäume auf dem Schmuckplatz am Hause verwaschen, trostlos. Ein halb abgerissener Ast hing mit gespreizten Fingern zur farblosen Erde, eine weiße, lange Wunde, von geschlitzter Rinde umhängt, war stumpf wie der Geschmack an seinem Gaumen.
»Wieder in die Penne. Das da draußen, vorhin die Träume, und wieder in die Penne. Gestern Abend, die Nacht, Ilse, die Erschrockene, meine Flucht, der Spiegel – nun, da eine Nacht darüber hinging, sind sie schon so weit fort. Nichts blieb. Keine Änderung? Keine Änderung!«
Die Grauheit dieses Morgens, diese
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