Der junge Goedeschal - Roman
Gesinnung bestimmt! Will ich denn bereuen oder etwa umkehren? Nein, nicht bereuen, keine Umkehr. Wenn meine Worte schon sagen, dass dies hier sinnlos ist, nichts ändernd, treibt es mich doch, nun die Hand zu erheben und vom Zuge des Klingelgriffs an alles zu leugnen, was ich eben noch tat, nichts mehr zu wissen. Heimathafen ersehne ich in ihr, zu dem mich Einsamkeitswind trieb.«
»Begreife doch!«
Er tat’s. Die Klingel schrillte. Drinnen der Gang rauschte, und nun im Öffnen der Tür sah er’s: Sonnenaufgang über das breitgeschichtet Bleiche, Beseelung von Augen, deren Tiefe grenzenlos ward: auf ihrem Grund brannten fröhliche Feuer, allererstes goldfarbenes Birkenlaub wehte, in einem Römer glomm Wein.
Da er’s noch nicht begriff, lagen auf seiner Schulter zwei Hände, zu eigen nehmend, und ihre Stimme läutete: »O du! O du! Bist du endlich da! Wo warst du?«
Ihr Mund brach auf, da sie ihr Gesicht zu seinem hob, strich ihr Atem lau und frisch wie Wind ersten Frühlings zwischen Föhren über sein Gesicht, dass er die Lider senkte, doch sie: »Nein, deine Augen! Weißt du, wie ich mich sehnte! Wo bist du gewesen? Warum kamst du nicht?«
Und dies dann: »O, ich liebe dich! Ich liebe dich!«
Wie die Süßigkeit rinnt! Sie erfüllt die Ohrmuscheln, und ihre feierlichen Erntedankfest-Töne, über Stoppel und Wald geläutet, fließen ins Herz. Dort geschieht Erblühen von Weichheit und Glück, um Glück neigt sich die schwesterliche Blüte jenes Briefes, der, in dieser Stunde aufgeflattert, süßester Verrat, ihre Liebe noch weiter öffnen wird.
»Ja, du kannst nichts sagen. Aber die ich nichts weiß von dir, dieses bleibt: Liebe – Liebe – Liebe – du!«
Ihre Augen verschwommen. Ineinander gossen sie alle Hingabe durch diesen Blick, dessen Süße so süß war, dass sie stöhnen machte, und stärker schlug das Herz.
»Mehr«, murmelte er, »mehr.«
»Jeden Tag wartete ich …«, ihre Stimme verflog. Im Zimmer hinten raschelte es, man kreischte: »Ilse!« Stille entstand. Ihre Blicke entfernten sich, wurden klein. Die Seligkeit war vorüber. Noch blieb dies, die Hände von seinen Schultern zu lösen, Übergang zu finden, aber als er dann vor der Mutter sich neigte und das Lächeln spürte, wie sie sprach: »Es war ein Irrtum, nicht wahr, Herr Goedeschal?« – da war längst das Aroma einer erlebten Süßigkeit verflogen; alte Bahnen luderte, leierte das Leben, und dies war das Einzige noch, stärker und verlockender in dem und dem: die Uhr zu ziehen und zu sagen: »Schon halb fünf!«, da am Hauptpostamt die Klappe eines Briefkastens zuschlug.
63
Was glaubtest du, Kai Goedeschal?
Meintest du, nun endlich werde Leben bunt genug sein, so, wie es dein Herz ersehnt? Der Wüste tödlichen Graus, ohne Aussicht auf wehende Blätterfahnen bewegter Gefühle, sollte jener Brief pflanzentreibenden Regen spenden? Diese Kleinen und Stillen sollten, ins Herz gefasst, plötzlich aufflammen in entdeckter Menschlichkeit und deine Liebe noch übertönen?
Wie je – was erlebt wird, erlebst du allein. Da du die Treppe ersteigst, klopft dein Herz rascheren Wirbel. Werden sie heute sprechen? Wird ein schnelles Wort, ein Gedrücktes im Wesen jener Geliebten aufzeigen, dass du tief genug trafst?
Doch schon, wenn du in das Zimmer trittst, hörst du den alten trockenen Ton der Stimmen. Keine Erregung verbirgt sich. Die Luft ist mit Staub gefüllt, und nicht nur deine Nase riecht, auch dein Mund schmeckt den üblen Kampfer, den man zwischen Polster der Sessel und Sofas schob.
Sie sind nicht getroffen. Sie gehen ihre alten Wege. Ihre Gespräche berichten die geplusterte Kleinheit von Menschen, die nie ergriffen hinstürzten und weinten. Irgendwelcher Schemen zapplige Handregungen erzählen sie, Bewegungen, die alle jener einen gleich sind, die am Abend die Hose glättet, dass auch später noch die teure Falte scharf geknifft sei. Nichts von dem Verbrecher, der befleckenden Schmutz warf.
Fahre auf! Prüfe den Blick, der eine Verbindung zwischen Ilse und dir schlug, suchend, ob auch Möglichkeit nur der Anschuldigung da – du findest ihn nicht. Er war nie da. Lass deine Augen gehen über die Laden des Schreibtischs, der Kommode, an der die oft geputzten Messingbeschläge gleißen, du errätst nicht, ob in einer von ihnen, hastig aufgerissenund in unwilligem Schmerz zerknittert, jener Brief ruht. Nein, er ist nicht da; nicht wahr, du, du wartest umsonst? Nicht genug, dass sie dich abwiesen, da du selbst, Kai
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