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Der junge Goedeschal - Roman

Der junge Goedeschal - Roman

Titel: Der junge Goedeschal - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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geehrte Frau Rat, Komma, lassen Sie …‹«
    Die Feder ging übers Papier, er hörte ihr schmiegendes Gleiten, beim Komma gab sie spitz Laut. Sie schrieb, jetzt langsamer, beim »Schüler Goedeschal« setzte sie einmal aus,fing wieder an, träge nun, stockend. Und rascher und drohender wuchs das Wort auf, klemmte schon jetzt die Brust, machte den Atem holpern, verdrehte die Finger.
    »Hast du, ›Goedeschal‹«, fragte Kai, »ja? Nun denn weiter: ›mit Ihrer Tochter …‹, hast du ›Tochter‹? – – – ›Unzucht treiben sehen‹ …«
    (›Ich höre es wohl, er schreibt nicht. Er ist ganz starr. Nichts sagen, abwarten. Er wird von selbst wieder ansetzen. Nun zähle ich bis zehn, dann frage ich ihn …‹
    Und trieb fort, da sich das Wort Unzucht zu einem ungeheuren Bilde wandelte, riechend irgendwie, unbekannt Bekanntes, verzerrte Linien, seltsam gewundene, ineinandergerissen wie Geschwisterkuss.
    ›Was denke ich! Woher kommen meine Gedanken!‹)
    Schon hörte er sich, laut: »›Unzucht treiben sehen‹, Hans?«
    Und fühlte sich plötzlich in der Mitte gebogen, wie zerfetzt, splitterig, hängend.
    Stille. Dann leise, mit viel Speichelgeschluck: »Ich kann nicht, Kai … lass mich …!«
    Und nun Kai, laut, sehr hastig, klar, jedes Wort sorgsam im Munde geformt, dass kein Klang sich verzerre: »Was heißt: ich kann nicht! Ich sage dir doch: Witz! Bloßer Scherz! Was ist? Natürlich, so ist es! Ich sage dir, ich habe mit Arne eine Wette gemacht, dass wir … eben darum. Und außerdem … du hast mir versprochen, als mein Freund … Du weißt!«
    Schirmer zagte, weimerte leis: »Wir? Freunde? Du kommst nur, wenn du mich brauchst …«
    Kai schwieg, ein wenig Wärme fiel auf seine Haut, aber: »Na, sag mal, was erlaubst du dir denn eigentlich! Ich sage dir doch, es ist Scherz! Spaß!! Witz!!! Verstehst du denn das nicht?!«
    Gellte aus: »Scherz! Spaß!! Witz!!! Das Mädchen bekommt nie den Brief, mein heiliges Ehrenwort! Was willst du denneigentlich! Begreifst du denn nicht? Ich muss doch! Ich kann nicht zurück. Also schreib! Dein Ehrenwort hab ich!«
    Hans ließ flatternde Gebärden los, seine Arme schwangen, in der Hose bebte das Knie. »Ich will gern alles tun, alles schreiben, was du willst, aber bitte, Kai, lieber, lieber Kai, sag nicht Unzucht, bitte, bitte, nur das nicht! Sag … nun was denn? Irgendetwas anderes … ja, was denn nun? Sag: Zuchtlosigkeiten, bitte, Kai, sag Zuchtlosigkeiten!«
    »Aber ausgeschlossen! Was denkst du denn eigentlich! Diktierst du den Brief oder ich? Wenn du noch lange rumredest, sage ich überhaupt nicht Unzucht, sondern Schweinerei!«
    »Aber Schweinerei ist ja viel besser«, murmelte schwach Schirmer, »Schweinerei ist ja gradezu vorzüglich. Bitte sage Zuchtlosigkeiten oder Schweinerei …«
    »Nun höre gefälligst auf! Ich diktiere weiter. Hast du ›Unzucht treiben sehen‹? Nun den Punkt. ›Ein Freund‹ … Du hast doch auch Unzucht geschrieben …!«
    Sprang empor, sah auf das Blatt. Dort das Wort, groß, in lateinischen Buchstaben, seltsam gedreht, wie vorhin das Bild, und verrucht, irgendwie so furchtbar verrucht. Er senkte die Lider …, diktierte fertig. »Und nun, hast du Zeit dann, Hans? Bitte, in genau einer Stunde steckst du den Brief auf dem Hauptpostamt ein, du versprichst es mir? – Dein Ehrenwort?«
    »Ja.«
    »Ich danke dir, mein lieber Freund.«

62
    Nun aber, als Kai die Hand in die Rundung des Geländers ruhte, war es still um ihn; die Melodien der Hoffnung und eines rauschstarken Lebens waren in diesem Treppenhausverhallt. Eine nie atmende Stille schien diese Luft imprägniert zu haben, in der selbst der Staub ohne Rührung ruhte. Da nun sein eben noch im Takt mit dem Wind hingespielter Schritt zusammensank, fühlte er in sich das Wachsen zager Gedanken, und ohne die Lippen zu rühren, die Augen auf die schultergeriebene, klimmende Wand geheftet, befragte er das Schweigende um sich:
    »Doch warum komme ich? Will ich denn bereuen? Wieder einmal stillstehend und die Verantwortung meiner Umkehr anderen aufladend, werde ich mich also nun in ihrem Schoß reuig verströmen, jene Liebe anflehen, deren zu matte Gebärden mich doch nur für eine Stunde retten könnten oder zwei?«
    Er lauschte. Indem er die Frage, deren Ton seine Lippen nicht geformt hatten, ins Auge zwang, meinte er, heißeres Brennen des Blicks müsse selbst diese Materie erweichen. Doch geschah nichts.
    »Wie entkräftend dies ist zu wissen, dass jedes Wort Fälschung und nur die

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