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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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vorsichtig, immer in Deckung, so weit an die Spur heran, daß er sie lesen konnte. Hier hatte eine große Büffelherde geweidet. Gemächlich grasend war sie auf einem alten Büffelweg am Bach von Süden nach Norden gewandert. Eine mächtige Fährte war das. Tausend Stück mochten hier vorübergezogen sein. Solche Herden fand man nur noch sehr selten. Die Prärie war durch Ansiedlungen und Bahnbauten geteilt; die Wanderwege der Büffel, die einstmals von Canada bis Mexiko gingen, waren dadurch unterbrochen. Die Büffeljäger hatten begonnen, mit Repetiergewehren zu jagen.
    Tobias spähte erregt nordwärts. Dort erschien der Talbogen gelblich-braun, und es war, als ob er sich in einem wogenden Gewimmel bewegte. Einzelne Tiere hoben sich aus der verschwommenen, braunwolligen Masse ab; ihr hoher Widerrist, die dunkelfarbige Mähne, in der die Hörner fast versteckt waren. Wie fernes Donnergrollen klang das Brüllen, mit dem sich die Tiere gegenseitig grüßten. Büffelstiere und Büffelkühe pflegten, außer in der Brunstzeit, getrennt zu grasen. Was der Reiter vor sich hatte, war eine Stierherde. Die Tiere waren mager nach dem harten Winter, aber sie trugen noch den wertvollen Winterpelz.Tobias ritt zu einer breiten Lache, in der die Stiere sich gewälzt hatten. Er erkannte die Abzeichnung eines Büffelrückens. Was für ein Büffelrücken! Der Kundschafter erinnerte sich mit Unbehagen seiner Rippenbrüche, die er vor drei Jahren aus dem Zusammenprall mit einem Büffelstier davongetragen hatte. Aber jener Bulle, der ihm damals so übel zugesetzt hatte, mußte ein Zwerg gewesen sein gegenüber dem Stier, dem die Lache hier ein willkommenes »Büffelbad« gewesen war. Tobias entschlüpfte ein leiser Pfiff der Achtung und des Vergnügens. Seine Züge veränderten sich im aufsteigenden Jagdfieber.
    Tobias war ein leidenschaftlicher Jäger. Mit vierzehn Jahren hatte er den ersten Büffel erlegt. Die Jagd war das einzige, was den Heimatlosen noch ohne Stachel freute. Der Kundschafter wußte aber auch, daß er sich unter gar keinen Umständen in Kriegszeiten am Jagdwild des Stammes vergreifen durfte. Das Jagdrecht wurde schon in Friedenszeiten und innerhalb der Stämme streng gehandhabt. Büffel durften nur gemeinsam gejagt werden, und derjenige, der eine Herde auf eigene Faust angriff und sie dadurch verscheuchte, wurde bestraft. Gefängnisse kannten die Indianer nicht, dem Übeltäter wurde das Zelt zerstört. Die Androhung einer Strafe, und wenn es der Tod war, hätte die auflodernde Jagdlust des Kundschafters nicht mehr eindämmen können. Aber die Vorstellung, daß man ihn als unbeherrscht verachten werde, wenn er durch persönliche Leidenschaft die Ausführung seines Auftrages gefährdete, hielt ihn zurück. Wo die Büffel grasten, konnten die Dakota nicht weit sein. Wo steckten die Jagdspäher, wo die Jagdaufseher, die den einzelnen vom Schuß zurückhielten, bis die gemeinsame Jagd begann?
    Ein schwarzer Schopf tauchte auf dem Hügelzug auf, der Tobias den Ausblick nach Süden versperrte. Ein brauner Arm hob sich und machte Zeichen, daß Tobias sich vollkommen ruhig verhalten solle. Der Kundschafter hielt den Zügel straff. Er vernahm Hufschlag. Eine große Reiterschar näherte sich im Galopp aus Westen. Tobias schätzte auf etwa hundert Reiter. In Gedanken überschlug er die mögliche Zahl der Männer bei den Zelten der Bärenbande. Mehr als fünfunddreißig oder höchstens vierzig konnten das nicht sein. Es mußten sich zur Jagd auf die große Herde mehrere Abteilungenvereinigt haben. Schon tauchte auch der erste Reiter auf. Er erklomm mit seinem ungesattelten Pferd die Anhöhe im Süden, und die anderen folgten ihm in einer langen Reihe. Tobias konnte sie ohne Mühe zählen, er kam auf einhundertfünfzehn.
    Nach alter Sitte waren die Büffeljäger nur mit dem Gürtel bekleidet. Die braunen Leiber, die bis zum letzten Muskel vollkommen durchgebildeten Beine schienen verwachsen mit den Mustangs, den Büffelpferden, die zur Jagd abgerichtet waren und nie zum Lasttragen verwendet wurden. Die Jäger führten Pfeil und Bogen als Jagdwaffe. Einige hatten auch Speere. Tobias erkannte den Falben und Tokei-ihto. Der junge Häuptling hatte ein halbes Dutzend Pfeile und einen hellen Knochenbogen in der Hand; über seinem Rücken hing der Köcher mit den Reservegeschossen.
    Die Dakota bemerkten den Kundschafter und gaben ihm Zeichen, sich zurückzuziehen. Tobias wollte den Schecken, der schon sehr unruhig war, östlich am Hang

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