Der junge Häuptling
Bullen weg. Der Häuptling wendete sofort und legte den Pfeil an. Tobias sah nach dem Köcher; er war leer; der Pfeil in der Hand war der letzte, den der Schütze noch besaß. Auch der Bulle hatte sich schon gedreht, und wieder boten die Gegner sich die Stirn. Der Dakota schoß, aber er konnte nicht hinter die Schulter treffen, und der Pfeil blieb in dem kolossalen Körper des aufbrüllenden Stiers stecken. Der Häuptling war ohne Schußwaffe. Mit der Wut des Schmerzes drang der Büffel auf seinen Feind ein. Pferd und Reiter schienen einem grausamen Tod geweiht.
»Flieh, flieh!« schrie Tobias, ohne an sich selbst zu denken.
Der verwegene Dakota floh nicht. Mit einem kurzen Kampfruf sprang er ab und ließ den Mustang fortgaloppieren. Die folgenden Vorgänge spielten sich so rasch ab, daß Tobias sie kaum mit den Augen verfolgen konnte. Der Stier ging vor. Auf seinem Rücken saß plötzlich rittlings, mit dem Gesicht den Hörnern zugekehrt, der Dakota – der Stier schien zu Stein zu erstarren – er stand still, ohne ein Glied zu rühren. Der Häuptling sprang ab. In der Hand hielt er das spitze, zweischneidige Messer, ein Messer, fast so stark wie ein Kurzschwert. Der Koloß stürzte zusammen. Der Stich in das Genick hatte ihn getötet.
»Sieg!« rief Tobias, noch heiser vor Erregung.
»Der Häuptling beim Stamme der Dakota ist der größte Jäger in Prärie und Felsengebirge!«
Es zeigte sich, daß die Jagdszene nicht nur von Tobias beobachtet worden war. Rings erschollen laute Jubelrufe, und mehrere Jäger galoppierten jetzt herbei. Sie schlossen im Galopp einen Kreis um den erlegten Stier, und wenn Tobias indianische Reitkunst nicht sehr genau bekannt gewesen wäre, hätte er befürchten müssen, zusammengeritten zu werden. Aber die Hufe traten nur in gefährlicher Nähe an ihm vorbei. Die Luft erfüllte sich immer wieder mit Jauchzen und Freudenschreien, und schließlich wurden die Tiere von ihren indianischen Reitern hochgerissen und angehalten.
Einer der Indianer, ein großer hagerer Mann, der ebenso wie der Häuptling die Adlerfeder im Schopf und dazu ein Büschel rotgefärbter Hirschhaare trug, sprang von seinem schweißnassen Tier ab. Er untersuchte den Stich im Nacken des Stieres und prüfte die Hörner. Tokei-ihto kam auf den Kundschafter zu, und Tobias versuchte, sich zu erheben. Vergeblich! Aber der junge Häuptling unterstützte ihn mit selbstverständlicher Hilfsbereitschaft. Er setzte Tobias auf, gab ihm das Kriegsbeil zurück, das er unterwegs aufgelesen zu haben schien, und ließ sich selbst bei dem Kundschafter nieder.
Tobias dankte mit einer Gebärde und erwartete, nach seinem Namen und nach Ziel und Zweck seines Rittes gefragt zu werden. Aber es kam anders. Tokei-ihto stellte von sich aus den Kundschafter im Kreis vor.
»Das ist Tobias. Die Siksikau nennen ihn Wolfshäuptling, in einer der Sprachen der Watschitschun heißt dieser Name Chef de Loup.«
Tobias sah überrascht auf.
»Woher kennt der Häuptling beim Stamm der Dakota diesen Namen, den ich weit von hier an der canadischen Grenze empfing?«
Tokei-ihto beantwortete die Frage mit einer Handbewegung.
»Der Name Chef de Loup ist allen Kriegern zwischen dem Missouri und dem Felsengebirge bekannt genug. Du hast uns schon viel Schaden getan. – Es hat uns auch«, fügte der Häuptling mit einem leisen Lächeln hinzu, »viel Zeit und Mühe gekostet, dich irrezuführen, als du auf Spähdienst warst und wir die Munitionskolonne überfallen wollten.«
Der Kundschafter ging auf diese Bemerkung, die unangenehme Erinnerungen in ihm weckte, nicht ein. Es war, als ob er eine Maske wieder aufsetze.
»Mein Name ist Tobias! Ich liebe die Dakota, und ich liebe die Tapferen unter den Langmessern, und ich wünsche, daß Frieden sei zwischen meinen Brüdern. So denkt auch der große Häuptling der Langmesser mit Namen Jackman, dessen Briefe an Sitting Bull und Tokei-ihto ich bei mir trage.«
»Der Bote der Watschitschun, Tobias, wird unseren Häuptlingen und Ältesten diese Briefe vorlegen können.«
Auch Tokei-ihto ging ganz in ein förmliches Verhalten zurück und beendete zugleich das Gespräch. Er erhob sich und begann mit dem Abhäuten des Stiers. Seine Krieger klopften die Pfeifen aus und halfen ihm. Als das Fell abgezogen war, bestimmte der Häuptling einige junge Burschen als Wache bei der Jagdbeute und machte sich zum Aufbruch bereit. Auf seinen Wink trat der hagere Krieger mit der Adlerfeder zu Tobias heran und forderte ihn auf, bei
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