Der junge Seewolf
ich dir mit diesen Zeilen Kummer bereiten, aber ich hoffe, du wirst mich verstehen, wenn ich dir alles erkläre. Unsere Jugendschwärmerei wird immer in meiner Erinnerung lebendig sein, und ich wünsche mir so sehr, daß wir gute Freunde bleiben.«
David wurde ganz flau im Magen, er griff nach dem Glas, stürzte einen Schluck Bier herunter und las gehetzt weiter.
Der Leutnant von den Horse Guards, der künftige Lord Chambers, habe sich in den letzten Monaten so sehr um sie bemüht. Sie habe ihn schätzen gelernt. Er sei dreiundzwanzig Jahre und passe im Alter gut zu ihr, die sie nun bald siebzehn Jahre alt werde. Er verwöhne sie, lese ihr jeden Wunsch von den Augen ab und sei ein kluger, verständnisvoller Mensch.
Die Mutter habe ihr sehr zugeredet, der Vater ihr zur Prüfung ihrer Gefühle geraten, aber die Entscheidung ihr überlassen. Kurzum, Weihnachten werde sie sich verloben und im Sommer darauf heiraten.
David ließ den Brief sinken und atmete tief durch. Was war er doch für ein Narr gewesen. Er hatte an die große, die einzige Liebe für das Leben gedacht. War es denn so wichtig, daß er etwas jünger war und regulär frühestens in fünf Jahren Leutnant werden konnte?
David bestellte einen Gin und trank das scharfe Zeug, das er gar nicht mochte. Dann las er den Brief zu Ende. Nach der Verlobung würde sie mit ihrer Mutter und Charles, dem künftigen Lord, nach Paris und Rom reisen. Charles' Schwester begleite sie vielleicht auch.
Sie sei ganz aufgeregt, wenn sie an das Leben denke, das vor ihr liege. David müsse sie unbedingt besuchen. Auch Charles möchte ihn kennenlernen. Er möge nur unverletzt heimkehren. Sie würden doch immer Freunde bleiben, nicht wahr? Ihr Vater habe auch gesagt, nichts, was sie tue, könne seine Zuneigung zu David Winter beeinflussen.
David ließ den Brief sinken und starrte vor sich hin.
William hatte wohl etwas gesagt. »Sir«, wiederholte er eindringlicher, »ist Ihnen nicht gut? Haben Sie schlechte Nachrichten?«
»Nein, nein«, wehrte David ab, »es ist schon gut. Was hast du denn für Nachrichten?«
»Die Eltern und Geschwister sind gesund, aber der Fischfang war schlecht im Herbst. Sie freuen sich über das Prisengeld, das ich ihnen geschickt habe.«
David bemühte sich, Interesse zu zeigen, erklärte aber nach kurzer Zeit, daß sie nun an Bord müßten.
Im Cockpit suchte er sich eine freie Ecke und las Susans Brief noch einmal. Da hatte er sich eingebildet, als Midshipman mit Examen als Steuermannsmaat und Erwähnung in der Gazette könne er Eindruck machen. Ein dummer, junger Bengel war er für die große Gesellschaft, in der Susan jetzt lebte. Würde sie Charles auch so schelmisch anlachen? Freunde sollten sie bleiben! Zum Teufel mit ihr!
Er knüllte den Brief zusammen und starrte vor sich hin. Dann nahm er den Brief des Onkels. Brief dreizehn, natürlich, das paßte ja!
Aber beim Lesen wurde er ruhiger. Hier war alles unverändert. Die kleinen Geschichten, der Haushalt, die Freunde, aus all den Berichten sprachen Zuneigung und Liebe. Brief vierzehn informierte ihn, daß der Onkel sich nun am Kauf einer Brigg beteiligt habe, die als Kaperschiff ausgerüstet werde. Aus sicherer Quelle wisse er, daß im Frühjahr Kaperbriefe ausgestellt würden. Wenn David die Flottendisziplin zu hart sei, könne er ihm jetzt zu einer Stelle verhelfen.
David mußte lächeln. Was der Onkel so dachte. Er würde seine Flottenkarriere nicht für ein legalisiertes Piratenleben aufgeben.
Auf dem Innenumschlag des Päckchens stand: »Erst Weihnachten öffnen!« Weihnachten! In zwei Tagen würde Susan sich verloben. David schloß alle Briefe in seine Seekiste und ging an Deck. Mit Tränen in den Augen starrte er in den kalten, trüben Dezembernachmittag. Warum tat das nur so weh?
Am 24. Dezember übernahm David freiwillig am Abend die Hafenwache, während die meisten anderen Offiziere und Deckoffiziere an Land schwärmten. Nur der Master las in seiner Kammer. Während der Wache ging David in den Kartenraum. In Hannover war ja an diesem Tag Bescherung, da brauchte er nicht wie die Engländer bis zum nächsten Morgen zu warten.
Er öffnete das Päckchen und sah zwei kleine Ölgemälde. Auf dem einen waren seine Eltern, auf dem anderen Onkel, Tante, Julie und Henry abgebildet. Die Bilder waren jedes nicht größer als eine Hand, aber so genau im kleinsten Detail, daß die Personen zu leben schienen.
Ja, so hatten sie ihn angesehen, seine Mutter und sein Vater. Und wenn er die
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