Der Kaiser des Abendlandes
Arbeiter schufteten inmitten von Dampfwolken und hochstiebender Asche. Langsam suchte sich Suleimans Pferd den Weg bis zu einem geduckten, lang gestreckten Steinbau, der zwischen Säulenresten und gekippten Quadern errichtet worden war. Ein Mann kam eine Treppe herauf, erkannte Suleiman und winkte.
»Nadschib ben Sawaq!«, sagte Suleiman. »Vaters Wesir.«
Sean nickte. Er kannte ihn aus Suleimans Berichten. Wo Nadschib war, konnte Abu Lahab nicht weit sein. Suleiman und Sean stiegen aus den Sätteln und hielten die Pferde am kurzen Zügel; die Tiere scheuten wegen des Lärms. Sean öffnete die Satteltasche und nahm die dünne Tasche aus Leder heraus, die den Brief des Kaisers enthielt. Nadschib und Suleiman redeten miteinander. Der Ältere musterte Sean mit einem erstaunten Gesichtsausdruck. Suleiman schüttelte lachend den Kopf. Nadschib deutete zur Treppe, verbeugte sich und winkte einige Knechte herbei, die sich um die Pferde kümmerten. Seans Blicke schweiften umher und hefteten sich auf die Feuer, die Essen und Dutzende hämmernder Schmiede; er hatte sich eine Schwertschmiede ganz anders vorgestellt.
»Folgt mir. Abu Lahab wartet im kühlen Gewölbe.«
Er ging neben Suleiman auf abgetretenen Steinstufen in die Tiefe des rußigen Bauwerks, und nachdem er einen Ledervorhang zurückgeschlagen hatte, rief er: »Allahu akbar, Abu Lahab! Dein Sohn und der Gesandte des Kaisers sind da.«
Hinter einem Tisch stand ein mittelgroßer, schwarzbärtiger Mann auf. Nur ein paar Kerzen erhellten das Gewölbe.
Abu Lahab klatschte in die Hände und rief: »Mehr Licht! Zündet mehr Kerzen an!«
Er eilte um den Tisch herum, warf Suleiman einen bedeutungsschweren Blick zu und starrte Sean neugierig an. Nadschib rief einige Befehle den Niedergang hinauf.
Abu Lahab wollte etwas sagen, aber Sean kam ihm zuvor: »Allahu akbar, o Abu Lahab. Der Kaiser des Abendlandes weilt unerkannt im Land der Muslime. Unser Schiff hat nachts angelegt; kaum einer hat uns gesehen, denn der Kaiser lässt sich Zeit. Er wandert durchs Land und versucht, Sitten und Gebräuche kennen zu lernen. Aber er gab mir, seinem jungen Wesir – das ist das arabische Wort für meine…«
»… seine Stellung«, half Suleiman Sean auf der Suche nach dem richtigen Wort. »Er ist die rechte Hand des Kaisers. So wie Nadschib dein persönlicher Wesir ist.«
Zwei junge Diener, schwitzend und im Lendenschurz, kamen hereingerannt und zündeten in fieberhafter Eile Kerzen und Öllampen an. In dem gekalkten Gewölbe wurde es langsam heller; die Männer erkannten einander besser. Sean fühlte Abu Lahabs Blicke wie Dolchspitzen auf sich gerichtet.
»Ich bin Abu Lahab, der Vater dieses hoffnungsvollen Sprösslings Suleiman. Wie ist dein Name?«
»Ich bin Nicolaus, ein Christ, der leidlich Arabisch spricht und weit herumgekommen ist. Geboren wurde ich in Britannien, ein Land, das unendlich fern von Jerusalem liegt. Ich bin hier, um Euch eine gute Nachricht zu überbringen: Der Kaiser hat den Brief, den dein Sohn schrieb, erhalten und beantwortet.«
Er hob die Tasche hoch. Sein Blick wurde abgelenkt von den Jungen, die schweigend umherhasteten und immer mehr Kerzen und Öllämpchen anzündeten. Inzwischen waren es mehr als zwei Dutzend.
»Der Brief!«, rief Abu Lahab. Sean musterte ihn genau und versuchte, trotz aller Erklärungen und Warnungen Suleimans, die ihm die Unmöglichkeit dieses Unterfangens bereits vor Augen geführt hatten, das wahre Wesen des etwa fünfzigjährigen Mannes zu erkennen.
»Gib mir den Brief!«, forderte Abu Lahab.
Suleiman hob die Hand. Dann zeigte er auf die Stühle aus Eisenstäben und Fellen, die Nadschib zum Tisch gerückt hatte. »Er ist in der Schrift der Juden geschrieben!«
Suleiman, Nadschib und Sean setzten sich.
Abu Lahab wanderte an der Längsseite des Tisches aufgeregt hin und her. Wieder klatschte er in die Hände und befahl: »Wein! Saft und Wasser! Krüge und Becher – schnell! An meine Gastfreundschaft soll sich jeder lange erinnern!« Er blickte auf die vielen funkelnden Ringe an seinen Fingern und redete aufgeregt weiter. »Du, Wesir Nicolaus, bist du bewandert in der Schrift der jüdischen Ungläubigen?«
»Suleiman und ich können den Brief übersetzen, o Meister der Schwertschmiede«, sagte Sean ruhig. »Da Suleiman ihn nach den Worten des Kaisers und meiner Übersetzung selbst geschrieben hat, wird er dir sagen können, was darin geschrieben steht.«
»Worauf wartest du, Suleiman?«, rief Abu Lahab aufgeregt. »Ich
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