Der Kaiser des Abendlandes
Kamelstuten folgte einem mächtigen Kamelhengst, den zwei Männer führten und in ein Gehege brachten. Die jungen Kamele stießen röhrende und hohl klingende Schreie aus; sie klangen, als würden sie geschunden. Als die Abenddämmerung einsetzte, senkten sich wieder Stille und Ruhe über das Dörfchen. Suleiman kam zufrieden vom Herrn der Karawanserei zurück, ging in sein Zimmer und sprach sein Abendgebet. Unterdessen begann ein Duft nach Rauch und köstlichen Speisen die Luft zu füllen.
Frischen Sud, einen Becher Wein, heiße Fladenbrote, Schafskäse, getrocknete Weinbeeren und Datteln, einige Schüsseln voller Nüsse und Pistazienkerne hatte Layla auf den Tischen angerichtet. Sie aßen im Schein des Feuers und einiger Lämpchen und redeten leise miteinander.
Als Sean aus dem Ziegenbalg seinen Weinbecher wieder füllte, sagte Suleiman: »Ich habe mir während des Ritts einiges überlegt. Wie wäre es, wenn du den Abgesandten, den Wesir oder den Boten des Kaisers spielen würdest?«
»Der Kaiser ist Christ wie du.« Layla lächelte ihn an. Ihr schwarzes Haar fiel in weichen Locken auf ihre Schultern. Das flackernde Licht verlieh den Gesichtszügen der reifen Frau eine fast geheimnisvolle Ausstrahlung.
»Vielleicht denkt Abu Lahab, dass der Kaiser des Abendlandes nicht einfach einen Besuch bei einem Schwertschmied macht«, sagte sie.
Sean zuckte mit den Schultern und betrachtete hingerissen den Widerschein der Flammen auf Laylas Haar.
»Wenn er so misstrauisch ist, wie du mir erzählt hast, wäre es natürlich besser, wenn ich den Antwortbrief überreiche«, sagte er nachdenklich. »Er kann mich ausführlich über den Kaiser befragen.«
»Du brauchst ihm nur zu schildern, wie Henri denkt und handelt. Denn er und der Kaiser – sie sind für uns und deinen Vater ein und dieselbe Person«, bekräftigte Suleiman lachend und öffnete einen Beutel mit gerösteten Pistazien. Sean nickte.
»So können wir es machen«, sagte er. »Ich denke darüber nach. Abu Lahab wird schon verstehen, dass ein Christ seine Sprache nur unzureichend beherrscht.«
»Und auch Sitten, Gebräuche und vieles andere nicht kennt«, setzte Layla hinzu. Suleiman schnippte Pistazienschalen ins Feuer, wo sie aufzuckend verbrannten.
»Es ist ein seltsames, gefährliches Spiel«, gab Sean zu bedenken, »das wir angefangen haben. Ich wünschte, es wäre schon zu Ende.«
»Zu diesem Spiel hat uns mein Vater gezwungen«, verbesserte ihn Suleiman. »Er hat angefangen. Erinnere dich!«
»Ich erinnere mich gut.« Sean leerte den Becher, stand auf, ging in eines der Nebenzimmer und kam mit einigen trockenen Tüchern zurück. »Wenn ich den Schweiß und den Staub abgewaschen habe, werde ich mich noch besser erinnern.«
Er wartete vor dem Haus, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Mond war wieder etwas voller geworden als in der Nacht zuvor. Langsam ging Sean in die Oase, er folgte dem Kanal über kühles Gras bis zu den Stufen und setzte sich. Er entledigte sich seiner Kleidung und wusch sich und seine Gewänder sorgfältig, trocknete sich flüchtig ab und tappte bis zu einer Lichtung, die sich im bleichen Mondlicht ausbreitete.
Er hängte die Kleidungsstücke über einen Busch, setzte sich, an einen Ölbaumstamm gelehnt, und streckte die Beine aus.
Sean war froh, eine Weile allein sein zu können, aber er wäre noch glücklicher gewesen, wenn Layla neben ihm gesessen und sich mit ihm unterhalten hätte. Im Nachtwind raschelten die Blätter in den Bäumen, und ihm schoss ein Strom ungeordneter Gedanken durch den Kopf: die Freunde in Jerusalem, der junge Elazar, Abu Lahab und dessen irrwitzige Träume, sein Leben als Fremder in Jerusalem und das mögliche Scheitern ihres Plans. Dieser ganze Wirrwarr widersprach Seans Vorstellungen von einem ritterlichen Leben, für das Henri sein Vorbild war. Und immer wieder schoben sich Bilder von Layla leuchtend durch diese Unordnung in seinem Inneren.
Leichte, langsame Schritte näherten sich. Als er nach seinem Dolch greifen wollte, erstarrte er mitten in der Bewegung; er wusste, wer auf ihn zukam.
Layla schritt um den Stamm des Ölbaums herum, kauerte sich vor Sean ins Gras und nahm seine Hände.
»Allahu akbar«, sagte sie leise. »Wenn du mir sagst, dass du unruhig und voll Begierde auf mich gewartet hast, springt mein Herz vor Freude, Sean.«
Er zog sie an sich und versank in ihren großen Augen. »Ich hab auf dich gewartet«, flüsterte er, »aber ich habe nicht gewagt, davon
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