Der Kaiser des Abendlandes
will ihn sehen, den Brief des Kaisers.«
»Geduld, Vater«, entgegnete Suleiman. »Wir haben einen schweren, anstrengenden Ritt hinter uns. Lass uns Atem holen und einen Schluck trinken.«
Abu Lahab blickte zwischen ihm und Sean hin und her. Sean zwang sich, den Blicken des aufgeregten Schmiedefürsten nicht auszuweichen. Nadschib verteilte Becher, füllte sie, umarmte Suleiman, ging um den Tisch herum, schob Kerzen und Öllampen zur Seite, warf einen leeren Krug um und setzte sich endlich. Sean öffnete die Knoten, die eine breite Lasche mit dem Umschlag verbanden, und zog das zusammengefaltete Pergament hervor. Er schlug es behutsam auf und schob es ins Licht.
»Was schreibt der Kaiser? Lies vor!« Abu Lahab platzte fast vor Neugier.
Sean, der jedes Wort kannte, begann zu reden: »Ludovicus, Kaiser des Abendlandes, König und Fürst zahlreicher kleiner Länder, dankt Effendi Abu Lahab ben Taimiya für sein Schreiben und seine huldvolle Einladung. Geschrieben zu Askalon, unter widrigen Umständen, mit Hilfe meines Vertrauten Nicolaus und der Kenntnis deines klugen und stolzen Sohnes, o Fürst aller Schwerter und Dolche, wird dir mein Dank für dein Schwert, dieses herrliche Geschenk, das mir dein Sohn überreichte, reichlich zuteil.«
»Ein Mann nach meinem Herzen!«, ächzte Abu Lahab begeistert. »Keine Kerzen mehr. Es ist hell genug! Bringt Wein und einen Imbiss! Schnell!«
Inzwischen brannten fünf oder sechs Dutzend kleine und große Flammen in dem kühlen Gewölbe. Sean sah an den Wänden die geschwungenen Klingen wohl erst kürzlich geschmiedeter Schwerter. Wieder füllten die Diener hastig die Becher.
»Weiter!«, sagte Suleiman.
»Ich, Ludovicus, habe erfahren, dass du deinen Sohn auf die beschwerliche und viele Monde lange Reise ins Herz des Abendlandes geschickt hast, um deinen Brief zu übergeben. Nun hat es mein Christengott so gefügt, dass ich in Askalon an Land ging, und dein Gott Allah – Allahu Akbar; Gott ist groß, deiner wie meiner – hat es gefügt, dass wir uns trafen. Deinen Wunsch, dass ich zum Islam übertreten möge, werde ich bedenken. Ich werde die tiefsten Tiefen meines Herzens und die entferntesten Winkel meines Geistes befragen. Immerhin gibt es nur einen Gott für alle Menschen. Aber bezähme deine Ungeduld, o Schirmer der Armen und Born der von vielen Dinaren gesegneten Weisheit. Nicht morgen, nicht binnen eines Mondwechsels werde ich meinem Christentum entsagen können. Als Mann der Weisheit wirst du das verstehen können. Anderes bewegt mich, und so ließ ich es schreiben.«
Schweigen breitete sich aus. Sean sah Suleiman an, Suleiman seinen Vater, Nadschibs Blick wechselte zwischen den drei Gesichtern und den Sklaven, die hastig den Raum verließen, ohne dass Abu Lahab sie beachtete. Er wiederum richtete seine Blicke in schnellem Wechsel auf alle Anwesenden. Er hielt den Becher in der Hand, ohne zu trinken. Seine Augen blickten schließlich zur Decke, und man erkannte deutlich, dass sich seine Gedanken in einem lautlosen Mahlstrom bewegten. In seinen Mundwinkeln regte sich ein selbstbewusstes Lächeln. Der Kaiser hatte ihm geantwortet! Schriftlich! Mit einem langen Brief! Und er kannte nur die Hälfte des Inhalts. Er war tief beeindruckt und gönnte Suleiman einen anerkennenden, fast liebevollen Blick.
Sean atmete innerlich auf und las weiter vor: »Eines unerwarteten Tages werde ich dich, o Abu Lahab, in Jerusalem besuchen und mit allen meinen Begleitern die Gastfreundschaft deines schönen Hauses genießen, von der dein Sohn zu schwärmen nicht aufhören wollte. Deiner Dienerin, deren Klugheit und Liebreiz mir die beiden Tage und Nächte zusätzlich versüßte, werde ich ein kostbares Geschenk machen. Dies wird bald geschehen. Ich schicke, bevor ich den langen Ritt wage, einen Boten zu Suleiman. Bevor ich mich dir und den Riten des Islam unterwerfe, bitte ich dich als Zeichen deines Entgegenkommens, jenen jungen Juden aus deiner Gastfreundschaft zu entlassen.«
Abu Lahab griff nach dem Becher, zielte mit dem silbernen Gefäß auf Suleiman und sagte schroff: »Das kann er nur von dir wissen, Söhnchen!«
»Vom wem sonst?«, gab Suleiman lächelnd zurück. »Welches Gewicht hat für dich ein junger, ahnungsloser Jude? Denkst du, der christliche Kaiser wiegt ihn mit Gold und Rubinen auf?«
»Wahrscheinlich nicht«, antwortete Abu Lahab widerstrebend. »Ich werde den Juden wohl freilassen müssen. Aber erst in ein paar Tagen. Und bis dahin werde ich es mir auch noch
Weitere Kostenlose Bücher