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Der Kaiser des Abendlandes

Der Kaiser des Abendlandes

Titel: Der Kaiser des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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zu träumen.«
    »Wir sollten nicht schlafen und träumen. Da weiß ich Besseres«, antwortete sie und lehnte sich gegen seine Brust. Mit zitternden Fingern löste sie die Schnüre ihres Wamses und legte ihre Hände auf seine Brust.
     
     
    Als Sean, der nur kurz eingeschlafen war, die Augen öffnete, dachte er, dass der Morgen angebrochen wäre. Aber das Licht kam vom Mond, der ihm ins Gesicht leuchtete. Er wandte den Kopf. Neben ihm, im Gras ausgestreckt, lag Layla, die Hände über den Brüsten gekreuzt. Ihr Körper glänzte von Schweiß. Als er sich halb aufrichtete und ihr zuwandte, merkte er, dass Schweißtropfen auch auf seiner Haut glänzten. Er schob den Arm unter ihren Nacken und sagte: »Wird Suleiman uns vermissen, oder schäumt er vor Wut?«
    Sie lächelte und streichelte seine Schulter. »Sei unbesorgt. Er teilt die Freude mit uns. Er schläft jetzt tief und fest.«
    Sean war noch ganz gebannt von den frischen Erlebnissen. Er hatte nicht ein einziges Mal an Guinivevre gedacht, während sie sich voller Zärtlichkeit und Leidenschaft geliebt hatten. Der Mond wanderte bis zum Rand der Öffnung zwischen den Baumwipfeln. Als Sean Laylas Körper berührte und seine Finger durch ihr langes Haar fuhren, erwachte sein Begehren augenblicklich aufs Neue. Erst in der Stunde zwischen Dunkelheit und Dämmerung gingen sie durch die stille Oase ins Haus und versuchten einzuschlafen.
     
     
    Am Morgen des vierten Tages nach ihrer Ankunft brachen sie wieder auf. Bis dahin hatten sie lange darüber beraten, wie viel Zeit sie würden verstreichen lassen müssen, damit es bei ihrer Rückkehr auch glaubhaft erschien, dass sie in Askalon gewesen waren, und welchen Eindruck der Kaiser von Abu Lahabs Brief wohl hatte. In jedem Fall würden sie darauf hinweisen müssen, dass es die Diener des Kaisers viel Zeit und Mühe gekostet hätte, den Brief zu übersetzen.
    Hinter Sean, der dicht neben Layla ritt, lag eine leidenschaftliche und glückliche Zeit, wie er sie sich nie zu erträumen gehofft hatte. Aber schon jetzt, während er nicht mehr von ihr sah als ihre Augen und sich ihren Körper in all seiner Schönheit nur mehr vorstellen konnte, ahnte er bereits das Ende.
    In zwei Tagen wären sie wieder in Jerusalem. Dort sollte er unter dem Namen Nicolaus den Brief des Kaisers abgeben, mit Abu Lahab reden und eventuelle Fragen beantworten.
    »Werden wir uns in Jerusalem noch einmal sehen können?«, fragte er die jetzt neben ihm reitende Layla. »Offen oder im Geheimen?«
    Die hübsche Frau schüttelte den Kopf. »Offen auf gar keinen Fall. Ich lebe im Harem von Abu Lahab, und der ist für dich tabu. Aber ich kann mit Suleiman reden, vielleicht hat er eine Idee. Wir werden sehen.«
    »Und irgendwo außerhalb des Harems? In einem Versteck, das nur Suleiman kennt?«
    »Inshallah!«, antwortete Layla. »Vielleicht ist es möglich, vielleicht nicht. Wenn mich jemand als die Geliebte eines Ungläubigen erkennt, wäre das mein Todesurteil.«
    »Ich werde mich vor Sehnsucht verzehren«, sagte Sean leise und stockend. »Aber eigentlich sollte ein christlicher Ritter sich in Entsagung üben.«
    »Dazu hast du, junger Ritter, im Alter noch genügend Zeit.«
    Layla wandte den Kopf ab und blickte wieder auf die Straße. Über den Felsenbergen, die sich zwischen ihnen und der Stadt erhoben, schob sich die Sonnenscheibe in den Himmel. Ihre grellen, heißen Strahlen blendeten die Reiter.
    Sie erreichten den Stadtrand am Nachmittag des nächsten Tages. Als sie sich trennten, wandte sich Sean mehr als ein Dutzend Mal um; Layla blickte ihm dreimal lange nach. Sie ritt, den Zügel des Packpferds am Sattel, zu Abu Lahabs Haus. Suleiman und Sean bogen auf die schmale Straße ab, die zu der Schwertschmiede führte.
    Als die Reiter den Arbeitslärm hörten, hielt Suleiman sein Pferd an und sagte warnend: »Vergiss die Fürstin deiner Sinne für die nächsten Tage. Denk daran, was ich dir von der Listigkeit meines Vaters berichtet habe. Sag nicht zu viel!«
    Sean begegnete dem ernsten Blick des Freundes und schüttelte den Kopf.
    »Ich bin der junge Ungläubige Nicolaus, Wesir des Kaisers, der fremd im Land ist und dir bedingungslos vertraut.«
    »So ist’s recht!«, antwortete Suleiman und gab die Zügel frei. Seans Neugierde und Anspannung wuchsen, als er die Ruinen, die Schmieden, den Rauch und die Funken sah und, je näher sie den Essen und Schleifsteinen kamen, den ohrenbetäubenden Lärm hörte. Dutzende rußgeschwärzter und schwitzender

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