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Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
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an den Truchseß eines befreundeten Grafen verkauft. Es ging ihr nicht besonders
     gut dort.«
    »Ich verstehe.«
    Erinnerungen fügten sich für Germunt wie jahrelang verlorene Bruchstücke zusammen. Herbst. Er sitzt auf dem Schoß seiner Mutter,
     sie dreht am Stiel ein buntgefärbtes Eichenblatt zwischen den Fingern. Der Vater hat einen Bären erlegt, hat ihm eigenhändig
     die Stange in den Leib gebohrt. ›Ich bin stolz auf Vater‹, sagt Germunt. Die Mutter, die eben gelächelt hat, preßt die Lippen
     aufeinander, und ihr laufen Tränen die Wangen hinunter. ›Warum |382| weinst du?‹ fragt er. Sie schaut ihn nur an, mit furchtbarer Trauer im Gesicht, und dann küßt sie das Blatt in ihrer Hand.
Ich verstehe sie nicht,
hat er damals gedacht.
    Und dann die Gewitternacht. Der Sturm ist so schlimm, daß Germunt es nicht mehr aushält und in ihre Kammer schlüpfen möchte,
     auch wenn er weiß, daß er es nicht darf. Er lauscht an der Tür und hört ein Schluchzen. ›Hat er Euch geschlagen?‹ fragt die
     vertraute Stimme der Magd. ›Nein‹, sagt die Mutter. ›Ihr fürchtet Euch vor dem Unwetter? So geht doch zum Herrn und bittet
     ihn, Euch zu halten. Ihr seid sein Weib, er wird geduldig sein.‹ Im Zimmer nun ein hoher, gedämpfter Ton, als weine die Mutter
     mit zusammengebissenem Mund. ›Ich will nicht von ihm gehalten werden‹, stößt sie plötzlich hervor.
    Germunt stand auf. »Ich weiß nicht viel über Liebe, Claudius. Aber ich weiß, daß meine Mutter dem Grafen nie Bäume gezeichnet
     hat und daß der Truchseß sie nicht geküßt hat, sondern geschlagen. Adia war keine glückliche Frau. Ich habe sie weinen gehört
     des Nachts, ich habe sie mit diesem abwesenden Blick gesehen, immer wieder.«
    »Bitte, hört auf –« Der Bischof brach ab. Germunt sah Schrecken in seinen Augen, Schmerz und ein Lodern, das ihm in seinem
     bisherigen Leben noch nirgends begegnet war. Am Boden der Augen sammelten sich Tränen, um die graublauen Flammen zu löschen.
    »Kann man auch aus der Entfernung lieben? Ich habe mich nach Stilla gesehnt, als ich drauf und dran war, in der Loire zu ertrinken,
     und der Gedanke an sie hat mir Kraft gegeben. Genauso wird es Adia gegangen sein – mit Euch. Daß sie von Euch geflohen ist,
     heißt doch nur, daß sie die unvollkommene Nähe zu Euch nicht ertragen hat, die Aussicht, einen andern zu heiraten und in Eurer
     Umgebung zu sein.«
    Über das Gesicht des Bischofs rannen Tränen. Hell perlten sie über die wettergegerbte Haut und tropften vom Kinn herab. Claudius
     hielt die Lippen eng verschlossen, als könnte er damit ihr Zittern verhindern.
    |383| »Mag sein, daß meine Mutter auf Euch geschimpft hat, als sie mich nach Turin schickte. Auf das Pergament hat sie aber ein
     Bild gemalt, das das Zeichen Eurer Liebe war. Ich kann nur raten, was Euch die Sternenaugen meiner Mutter bedeuten. Für mich
     ist sie die Mutter, für Euch die Frau, die Euer Herz bewohnt. Gebt Euch nicht dem Trugschluß hin, daß das allein in Eurer
     Brust stattfindet. Auch Adia weiß, daß sie mit Euch glücklich geworden wäre.«
    Der Bischof wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht trocken. Er kämpfte um seine Stimme. »Versteht Ihr jetzt, warum Ihr nicht
     hierbleiben und meinen Niedergang teilen könnt? Ich kann Adia nicht noch mehr antun. Was sollen sie ihr einmal sagen, wenn
     der Rachezug meiner Feinde über Turin gefegt ist? Daß mein Weg auch Euch das Leben gekostet hat? Niemals.« Mit langsamen Schritten
     ging Claudius auf Germunt zu, dann zog er ihn an sich und umarmte ihn. »Ich bin nicht dein Vater, und doch bist du mein Sohn.«
     
    Erst in diesen Tagen wurde Germunt bewußt, mit welch erstaunlicher Selbstverständlichkeit sich Stilla in Turin bewegt hatte.
     Die Geröllfelder, schmalen Steige und Felsplatten der Alpen mußten Schritt für Schritt von ihr ertastet werden, und obwohl
     Stilla von seinem Arm geführt wurde, stolperte sie mehr, als daß sie lief.
    Für den Weg, den Germunt an einem Tag zurückgelegt hatte, brauchten sie nun drei Tage. Sie füllten an jedem Gebirgsbach ihre
     Wasserschläuche, und nachdem sie die Baumgrenze hinter sich gelassen hatten, aßen sie Schnee von den verstreuten, kalten Flecken,
     um ihren Wasservorrat nicht anzutasten. Hätte Germunt nicht von jenem Sennergehöft gewußt, das er als ihr Ziel auserwählt
     hatte, würde ihn die Sorge um ihr Überleben bedrückt haben, weil ihnen trotz der großen Proviantbeutel schnell die Nahrung
     ausging. So

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