Der Kalligraph Des Bischofs.
als sie Euch um Hilfe gebeten hat. So war es. Mein Vater hat sie verkauft, und ihrem neuen Herrn ist sie davongelaufen vor
sieben Jahren. Aber als sie zu Euch kam, habt Ihr sie gepackt und ins Kloster geschleift. Von Liebe war da keine Rede!«
»Richtig. Nach vielen Jahren ist sie wieder aufgetaucht. Mein Herz hatte inzwischen zu einer Art von Froststarre gefunden,
aber ein Blick ihrer Augen genügte, und mein Panzer ist aufgeplatzt wie die Eisdecke im Frühling. Sie hat mir erzählt, daß
sie als Kammermädchen bei einem Grafen Udalbert untergekommen ist und daß sie ihm einen Sohn geschenkt hat, aber nichts konnte
mich erzürnen, weil sie am Leben war. Am Abend hat sie den kaiserlichen Hof erreicht, und noch in derselben Nacht brachte
ich sie ins Kloster.«
»Das habt Ihr getan? Ihr habt sie jahrelang nicht gesehen und dann ins Kloster gesperrt?«
Kein Wunder, daß meine Mutter ihn haßt.
Unweigerlich verglich Germunt den Bischof mit seinem Vater. Udalbert war ein unnahbarer, kräftiger Mann – aber gemessen an
Claudius war er ein Bauer. Seine Stärke war nicht durch Weisheit veredelt; wo man in Claudius’ Gesicht Nachdenklichkeit lesen
konnte, waren Udalberts Züge grob und leer. Die königliche Würde, die der Bischof |380| manchmal ausstrahlte, fehlte Germunts Vater völlig.
Vielleicht hat sie diesen Mann einmal geliebt. Aber er hat es sich verscherzt. Wer weist eine Frau so zurück?
»Mich wundert es nicht«, bemerkte Germunt bitter, »daß meine Mutter abfällig von Euch spricht. Ihr habt sie von Euch gestoßen,
während sie Euch geliebt hat.«
Der Bischof sprang auf, seine Stimme donnerte hart durch den Raum: »Nichts versteht Ihr, nichts! Geht! Verschwindet!«
Anstatt den Raum zu verlassen, fuhr Germunt mit der Hand über das Fell, auf dem er saß; er streichelte es gegen den Strich,
so daß sich die Haare aufrichteten, und glättete es mit der umgekehrten Bewegung wieder. Der Bischof drehte ihm den Rücken
zu, sah zum Fenster hinaus.
Nach langer Zeit redete Claudius wieder: »Denkt nicht, es wäre mir leichtgefallen. Der Mundschenk hatte damals die Schrift
an der Kirchenwand gesehen, jeder hat sie gesehen, und jeder wußte, das einfache Mädchen hat den angesehenen Mundschenkssohn
zurückgewiesen. Man ließ sie suchen, besonders der Mundschenk hat seine Leute angetrieben, hat sie eine ganze Tagesreise weit
in alle Himmelsrichtungen geschickt. Als man sie nicht gefunden hat, hat man nach einer Ersatzbraut gesucht, aber es wollte
sich niemand finden lassen, der dem Zurückgewiesenen seine Tochter zur Frau geben mochte. Seine Ehre war gebrochen. Einmal
habe ich den bleichen Mundschenkssohn sagen hören: ›Wenn ich sie finde, bringe ich sie eigenhändig um.‹ Und das wäre ihr Mann
gewesen.«
Germunt nahm das Pergament wieder zur Hand und fuhr mit dem Finger die Linien nach.
Was hat sie gedacht beim Zeichnen?
»Als Adia nach so vielen Jahren am Hof um Aufnahme ersuchte, war der alte Mundschenk gestorben und sein bleicher Sohn an seine
Stelle getreten. Versteht Ihr, Germunt? Der Zurückgewiesene war inzwischen einer der mächtigsten Männer im Reich geworden!
Ich hätte sie vor |381| ihm nicht schützen können. Deshalb habe ich sie in ein Kloster gebracht, bevor irgend jemand sie sehen konnte. Donner, ich
mußte mein Herz mit einem Lanzenstoß zum Schweigen bringen, um das zu tun. Aber es war das einzige, was mir zur Wahl stand.«
Claudius räusperte sich, versuchte offensichtlich, seiner Empfindungen Herr zu werden. Dann drehte er sich zu Germunt um.
Die Augen des Bischofs blickten unruhig, und seine Stimme war brüchig wie von der Sonne getrockneter Lehm. »Adia ist nicht
wegen mir zurückgekehrt, oder?«
Ich muß lügen. Ich muß jetzt lügen – wie könnte ich Clau-dius die Wahrheit antun?
Germunt öffnete den Mund, um zu antworten, aber Claudius kam ihm zuvor.
»Sagt mir die Wahrheit.«
Germunt fühlte einen Widerstand in seinem Hals, als wären ihm die Worte dort steckengeblieben. »Die Gräfin war für unfruchtbar
gehalten worden.« Er schluckte, würgte an den Worten. »Aber sie hat plötzlich einen Sohn bekommen. Ein neuer Erbe war da –
ich war nicht mehr nötig, meine Mutter war nicht mehr nötig. Mit unermüdlichem Gezänk hat die Gräfin Udalbert dazu gebracht,
meine Mutter zu verstoßen. Zuerst mußten wir nur in einer entlegenen Kammer des Hauses wohnen, dann in einer Hütte am Rande
des Dorfes. Als ich acht war, hat Vater Adia
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