Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalligraph Des Bischofs.

Der Kalligraph Des Bischofs.

Titel: Der Kalligraph Des Bischofs. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Müller
Vom Netzwerk:
kleingefaltetes, abgegriffenes Pergament vom Tisch. Er reichte es Germunt.
    |377|
Er hatte ihn die ganze Zeit. Warum hat er mir nichts davon gesagt?
Germunt verharrte einen Augenblick. Dann fuhr er mit dem Daumen über das Pergament.
Dieses Stück Leder hat meine Mutter in der Hand gehabt.
Er faltete es auf. Germunt spürte, daß ihn Claudius prüfend ansah. Es enthielt kein einziges Wort, nur eine Zeichnung, einen
     Baum; mit einigen Strichen der Stamm angedeutet, die unteren Äste, dann grob einige Bögen, die das Laub bildeten. Germunt
     runzelte die Stirn. »Das ist der Brief?«
    »Ja, das ist der Brief.«
    Er drehte das Pergament in den Händen, suchte auf beiden Seiten des Leders nach winzigen Buchstaben oder Kürzeln. »Woher wißt
     Ihr, daß er von meiner Mutter stammt? Ich habe Euch nie davon erzählt.«
    »Sie muß Euch doch gesagt haben, daß wir uns kennen.«
    »Ja, das hat sie, als ich sie im Kloster aufsuchte. Ich war auf der Flucht vor den Bluträchern, und sie sagte: ›Ich weiß keinen
     anderen Rat, als dich zum Kantabrier zu schicken.‹ Aber sie hat es nicht gern getan. Sie war wütend auf Euch, weil Ihr sie
     ins Kloster gesteckt habt. Oh, sie war sehr wütend.«
    »Das ist gut. Wenn sie mich haßt, empfindet sie weniger Schmerzen.«
    Germunt sah verwirrt auf.
    »Was wißt Ihr über Adias Herkunft?«
    »Meine Mutter ist als Waisenkind an Vaters Hof gekommen.«
    »So hat sie Euch das erzählt? O nein, Germunt, Adia ist keine Waise. Ihr Vater stand in den Diensten des kaiserlichen Kämmerers.
     Sie sollte den Sohn des Mundschenks heiraten, einen schwächlichen, selbstsüchtigen Mann. Es war der feste Wille ihres Vaters,
     denn so konnte sie ihren Stand verbessern. Aber Adia –« Der Bischof brach ab.
    »Was? Meine Mutter ist zum Grafen gegangen, weil sie den Mundschenkssohn nicht wollte?«
    »Adia liebte mich.«
    |378| Germunt fuhr zurück. Er hatte das Gefühl, eine unsichtbare Hand greife nach seinem Hals und in seinem Kopf rissen Abgründe
     auf.
Meine Mutter …
Er entschied sich, es nicht zu glauben. »Sie hat nicht von Euch gesprochen, als würde sie Euch lieben. Eher muß sie Abscheu
     für Euch empfunden haben. So klang das für mich.«
    »Adia liebte mich, und ich liebte sie. Ich weiß, die Kirche sieht es nicht gern, wenn geweihte Priester heiraten, aber ich
     hätte Adia geheiratet. Wir haben uns heimlich getroffen, wann immer es uns möglich war, und selbst dann, wenn es unmöglich
     war.« Ein bitteres Lächeln flog über das Gesicht des Bischofs. »Als Lehrer für die jungen Hofgeistlichen bin ich mit dem Kaiser
     mitgezogen, und Adia zog ebenfalls mit, weil ihr Vater dem Kämmerer zu Diensten stehen mußte. Wo auch immer Ludwig haltgemacht
     hat, haben wir, nur durch Blicke, einen Baum vereinbart, unter dem wir uns treffen würden. Sind wir in die Nähe einer Ortschaft
     gekommen, haben Adia und ich uns auf den Pferden nach einer herausragenden Buche umgesehen, nach einer vom Blitz gespaltenen
     Eiche, nach einer einzelnen Kastanie am Waldrand. Wir haben uns dann angeschaut und wußten sofort, daß wir uns dort treffen
     würden.«
    »Bloß weil auf diesem Pergament ein Baum zu sehen ist, heißt das noch lange nichts.« Germunt biß sich auf die Zunge, drückte
     mit Daumen und Zeigefinger auf seine geschlossenen Augen, bis er bunte Farben sah und den dumpfen Schmerz nicht mehr ertragen
     konnte.
    »Ihr Vater hat Verdacht geschöpft, auch wenn er nicht wußte, daß ich es war, der sich heimlich mit seiner Tochter getroffen
     hat. Bald war es gefährlich, vor den anderen Blicke zu tauschen, und wir haben angefangen, Bäume zu malen. Wir haben sie mit
     einem Stock vor die Tür in den Sand gekratzt, wir haben sie mit verkohltem Holz an Häuserwände gezeichnet, mitunter habe ich
     einen Baum auch auf einen Rest Pergament gemalt und ihn ihr ins Fenster geworfen.«
    |379| »Unsinn!«
    »Unsinn? Furchtbar war es! Je mehr Adia sich gesträubt hat, desto unerbittlicher hat ihr Vater die Hochzeit mit dem Mundschenkssohn
     vorangetrieben. Sie hat immer öfter zu mir davon gesprochen, daß sie lieber sterben würde, als ihn zu heiraten. Wenige Wochen
     vor ihrer Hochzeit schließlich, wir verbrachten gerade den Winter in Ingelheim, fand ich an der Wand der Hofkirche die Worte:
     ›Wenn nicht du, dann soll mich niemand haben.‹ Und Adia war verschwunden.«
    Germunt schnitt mit gestrecktem Finger durch die Luft. »Mir hat sie das ganz anders erzählt! Ihr habt sie in ein Kloster gesteckt,
    

Weitere Kostenlose Bücher