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Der kalte Hauch der Angst

Der kalte Hauch der Angst

Titel: Der kalte Hauch der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Lemaitre
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was im Tresor ist?
    Ratlos blickt sie zur Eingangstür, zu den heruntergelassenen Rollos, der Hintertür, durch die die beiden Angestellten in die Mittagspause gegangen sind und die metallisch zuschlug wie eine Panzertür. Eine neue Stille tritt ein, langsamer, bedrohlicher als die vorige. Sicherlich telefoniert der Kerl. Mit wem? Aber da kommt er schon wieder. Mit einem gewinnenden Lächeln kommt er auf sie zu, aber nicht hinter dem Schalter, sondern vor dem Schalter. Er ist ganz nah, wirklich ganz nah.
    Â»Ich denke, wir können es einrichten, Madame Duguet«, sagt er in einem Atemzug.
    Sie setzt ein verkrampftes Lächeln auf. Der Kerl bewegt sich nicht. Lächelnd sieht er ihr in die Augen. Auch sie bewegt sich nicht, lächelt weiter. Das musste sein: lächeln. DenErwartungen entsprechen. Der Kerl dreht sich um und geht weg.
    Wieder allein. 12 Uhr 06. Sie hastet zu den Rollos, hebt ein paar Lamellen an. Das Taxi wartet noch immer. Den Fahrer kann sie nicht erkennen. Aber er ist da, das sieht sie. Sie muss schnell machen. Ganz schnell.
    Als der Kerl aus dem Untergeschoss heraufkommt, steht sie wieder am Kundenplatz vor dem Schalter, die Ellbogen aufgestützt. Er stellt sich neben sie und blättert ihr fünftausendsechshundert Euro hin. Dann geht er an den Platz der Angestellten und tippt etwas in den Computer. Der Drucker fängt wieder fleißig an zu arbeiten. Währenddessen schaut Musain sie lächelnd an. Sie kommt sich ganz nackt vor. Schließlich quittiert sie den Empfang des Geldes.
    Musain hat nicht mit Ermahnungen gegeizt. Dann hat er das Geld in einen Umschlag gesteckt und ihr den Umschlag mit selbstzufriedener Miene überreicht.
    Â»Eine junge Frau, zierlich wie Sie, mit einer solchen Summe auf der Straße … Ich dürfte Sie gar nicht gehen lassen. Das ist unvernünftig …«
    Zierlich wie Sie! Ich träume wohl!
    Sie nimmt den Umschlag, er ist sehr dick. Sie weiß nicht genau, was sie damit machen soll, also steckt sie ihn in die Innentasche ihrer Jacke. Musain sieht sie zweifelnd an.
    Â»Mein Taxi«, stammelt sie. »Es wartet draußen, der Fahrer macht sich bestimmt schon Sorgen … Ich stecke das nachher woanders hin …«
    Â»Natürlich«, sagt dieser Musain.
    Sie geht.
    Â»Warten Sie!«
    Sie dreht sich noch einmal um, zu allem bereit, bereit, ihn zu schlagen, aber sie sieht, wie er lächelt.
    Â»Vorne ist abgeschlossen. Sie müssen hier rausgehen.«
    Er deutet auf eine Tür hinter sich.
    Sie folgt ihm durch einen sehr engen Korridor bis ganz nach hinten zum Ausgang. Er fummelt am Schloss herum, die Panzertür geht auf, öffnet sich aber nicht ganz. Da ist der Kerl, vor ihr … Er nimmt fast den ganzen Raum ein.
    Â»So, hier bitte.«
    Â»Vielen Dank.«
    Sie weiß nicht, was der Kerl von ihr erwartet. Er bleibt lächelnd stehen.
    Â»Und wohin geht die Reise, wenn ich fragen darf?«
    Sie muss sich schnell etwas einfallen lassen, irgendwas. Sie merkt, dass sie zu lange nachdenkt, die Antwort parat haben müsste, aber nichts kommt.
    Â»In den Süden …«
    Sie hat ihre Jacke nicht ganz zugemacht. Als sie den Umschlag eingesteckt hat, hat sie den Reißverschluss nur halb hochgezogen. Musain betrachtet noch immer lächelnd ihren Hals.
    Â»In den Süden … Dort ist es schön, im Süden …«
    Und in diesem Moment streckt er die Hand nach ihr aus und drückt diskret den Umschlag mit den Scheinen herunter, von dem eine Ecke aus dem Revers ihrer Jacke ragt. Seine Hand streicht ganz flüchtig über ihre Brüste. Er hat nichts gesagt, aber er zieht die Hand nicht gleich wieder zurück. Sie sollte ihm eine runterhauen, wirklich, aber irgendetwas Endgültiges, etwas Fürchterliches hält sie zurück. Die Angst. Ihr kommt sogar ganz kurz in den Sinn, dass der Kerl sie hier befummeln könnte, einfach so, und dass sie, gelähmt wie sie ist, nichts dagegen unternehmen könnte. Sie braucht dieses Geld. Sieht man ihr das denn wirklich so deutlich an?
    Â»Jaaa …«, fährt Musain fort, »im Süden ist es wirklich nicht schlecht …«
    Er hat seine Hand zurückgezogen und streicht nun sanft das Revers ihrer Jacke glatt.
    Â»Ich bin in Eile …«, sagt sie und schiebt sich nach rechts zum Türspalt.
    Â»Verstehe.« Musain tritt ein Stückchen zur Seite.
    Sie drängt zum

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