Der kalte Hauch der Nacht - Inpektor Rebus 11
gegangen?«
»Schnauze, Cammo.«
Hugh Cordover war in den Siebziger-, Achtzigerjahren so eine Art Rockstar gewesen. Inzwischen war er als Plattenproduzent und Bandmanager aktiv. Allerdings interessierten sich die Medien neuerdings mehr für seinen Bruder Richard, einen Anwalt aus Edinburgh, als für den alternden Rockstar. Lorna hatte er erst gegen Ende ihrer Karriere kennen gelernt. Irgendein Berater hatte ihr damals eingeredet, dass sie unbedingt singen müsse. Und so war sie eines Tages zu spät und auch noch betrunken in Hughs Studio aufgekreuzt. Der hatte ihr zur Begrüßung erst mal ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet und ihr erklärt, sie solle gefälligst nüchtern wiederkommen. Vierzehn Tage später war sie in dem erwünschten Zustand wieder bei ihm aufgetaucht. Abends waren die beiden dann essen gegangen und hatten anschließend bis zum frühen Morgen im Studio gearbeitet.
Zwar wurde Hugh noch manchmal auf der Straße erkannt, doch meist von Leuten, die ihn nicht die Bohne interessierten. Im Zentrum seines Lebens stand jetzt sein heiliges Buch – ein in Leder gebundener dicker Terminkalender. Dieses Buch hielt er geöffnet in der Hand, während er – das Telefon zwischen Schulter und Ohr geklemmt – in dem Restaurant auf und ab ging. Seine Hauptbeschäftigung bestand offenbar darin, Termine zu vereinbaren, immer neue Termine. Lorna beobachtete ihn über den Rand ihrer Brille hinweg, und ihre Mutter wollte plötzlich unbedingt, dass jemand das Licht einschaltete.
»Mein Gott, wie dunkel es hier ist. Wollt ihr mir unbedingt einen Vorgeschmack auf den Friedhof geben?«
»Ja, Roddy«, sagte Cammo, »kannst du nichts dagegen unternehmen? Schließlich hast du das Lokal ausgewählt.« Er sah sich verächtlich in dem Raum um. Zwischenzeitlich waren zwei Fotografen eingetroffen – einer, den Roddy organisiert hatte, und ein anderer von einer Illustrierten. Cordover kehrte angesichts der neuen Lage augenblicklich an seinen Platz am Tisch zurück und gab sich redlich Mühe, die diversen Mitglieder des Grieve-Clans möglichst überzeugend anzulächeln.
Nach Roddy Grieves Planung war ein Spaziergang entlang der gesamten Royal Mile eigentlich nicht vorgesehen. Ja, er hatte sogar extra ein paar Taxis organisiert, die vor dem Holiday Inn warteten. Doch seine Mutter hatte ihren eigenen Kopf.
»Wenn wir schon spazieren gehen, dann um Himmels willen den ganzen Weg.« Und dann setzte sie sich in Marsch. Dabei stützte sie sich auf ihren Handstock, den sie zu rund siebzig Prozent aus Geltungssucht und vielleicht zu dreißig Prozent aus schmerzlicher Notwendigkeit mit sich führte. Als Roddy gerade die Fahrer bezahlte, flüsterte ihm Cammo ins Ohr: »Warum musst du nur immer so übertreiben?« Dann lachte er.
»Hau ab, Cammo.«
»Würde ich ja gerne, Bruder. Aber der nächste Zug zurück in die Zivilisation geht erst in ein paar Stunden.« Er schaute umständlich auf die Uhr. »Außerdem hat Mutter heute Geburtstag, wie du vielleicht weißt. Ich fürchte, sie wäre außerordentlich bestürzt, wenn ich plötzlich wieder abreise.«
Und so war es wohl auch. Das konnte selbst Roddy nicht leugnen.
»Schaut mal, wie sie geht«, sagte Seona und sah staunend zu, wie sich ihre Schwiegermutter in jenem merkwürdig schleppenden Gang, der überall Aufmerksamkeit erregte, die Straße hinabbewegte. Ja, Alicia war zweifellos ungewöhnlich geltungssüchtig. Schon immer hatte sie Mittel und Wege gefunden, die Aufmerksamkeit der anderen auf sich zu ziehen, und auch ihr Nachwuchs musste diesem Drang Tribut zollen. Zu Allan Grieves Lebzeiten hatten sich diese Marotten noch in Grenzen gehalten, immerhin hatte sich seine Frau einiges von ihm sagen lassen. Doch seit er tot war, tat Alicia alles, um sich für die vielen Jahre erzwungener Normalität zu entschädigen.
Nicht dass die Grieves eine normale Familie gewesen wären: Davon hatte Roddy Seona bereits in Kenntnis gesetzt, als die beiden das erste Mal zusammen ausgegangen waren. Aber natürlich hatte sie es ohnehin schon gewusst – jeder in Schottland wusste wenigstens irgendwas über die Grieves –, allerdings hatte sie es vorgezogen, das für sich zu behalten. Roddy ist halt anders, hatte sie sich damals eingeredet. Ja, bisweilen versuchte sie sich davon auch jetzt noch zu überzeugen, nur dass sie inzwischen nicht mehr so recht daran glaubte.
»Werfen wir doch mal einen Blick auf die Parlamentsbaustelle«, schlug sie vor, als die kleine Gesellschaft die Kreuzung St.
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