Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
«Supermächte», Oceania, Eura-sia und Eastasia, führen einen permanenten Krieg gegeneinander, eine überall anwesende Kontrolle - der berüchtigte Big Brother - ist geschaffen worden, um Loyalität und im Zweifelsfall die Ausschaltung der Andersdenkenden zu gewährleisten. Die Dialektik «Krieg ist Frieden» - «Frieden ist Krieg», die aus der Sprachwelt des Kalten Krieges stammen könnte, präsentierte Orwell als ein Beispiel für das «Doppelte Denken» («Doublethink») und das «Neue Sprechen» («Newspeak») in Oceania. 25 Auch die Atombombe spielt in Orwells Roman bereits eine alltägliche Rolle. Opfer werden nicht thematisiert, wichtig ist für die Mächte allein das «Gleichgewicht des Schreckens». In ähnlicher Weise konnte man den 1953 erschienenen SF-Roman Fahrenheit 451 des amerikanischen Autors Ray Brad-bury als eine Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Folgen des Kalten Krieges lesen. Bradburys Thema war die Gesellschaft in der totalen Auseinandersetzung, in der individuelles Denken, speziell aber Bücher schon zu einer Gefahr der nationalen Sicherheit geworden sind. Literatur wird zerstört, während die Bevölkerung einer permanenten Überwachung und Verhaltensregelung ausgesetzt ist. Widerstand beschränkt sich auf kleine Gruppen, die schließlich auch den am Ende stattfindenden Atomkrieg überleben.
Nicht als düstere SF-Dystopie, sondern als Beschreibung einer traditionell strukturierten Gesellschaft, die durch den abrupten Einbruch des Kalten Kriegs zerrissen wird, konnte 1955 der Roman Atomstation sogar die Nobelpreiskommission für sich gewinnen. Den US-Luftwaffenstützpunkt auf Island, die «Atomstation», auf der unter anderem Frühwarnsysteme, U-Boote, Abfangjäger und schließlich auch Atomwaffen stationiert waren, präsentierte der isländische Autor Halldör Laxness (eigentlich: H. Gudjönsson) 1948 als Ausgangspunkt für den Einbruch der Ideologien und der Bedrohungen des Kalten Krieges, aber auch als Einfallstor für die (unerwünschte) «Amerikanisierung» der Insel. Auswege oder Neutralität gibt es für ihre Bewohner nicht. «Der Kampf geht um zwei Grundsätze», lautet im Roman die schlichte Antwort auf die Frage, ob man Island durch die Genehmigung der Weiternutzung des US-Stützpunkts der nuklearen Zerstörung preisgegeben habe, «die Front verläuft durch alle Länder, alle Meere, alle Lufträume; aber vor allem mitten durch unser eigenes Bewußtsein. Die Welt ist eine einzige Atomstation.» 26 Wie unter anderem schon Orwell wurde auch Laxness durch seinen Roman selbst zum Gegenstand der ideologischen Auseinandersetzung im Kalten Krieg. Von der einen Seite zum Vorkämpfer des Kommunismus erhoben, sah er sich von der anderen Seite als Verräter gebrandmarkt, der der Propaganda des Ostblocks Vorschub leiste. 27
Die aus diesen Gründen nicht unumstrittene Verleihung des Nobelpreises an Laxness 1955 erfolgte dann zu einem Zeitpunkt, als einerseits bereits eine gewisse Normalität in den Kalten Krieg eingekehrt war, andererseits aber zahlreiche weitere, gerade auch US-lcritische Arbeiten vorgelegt wurden. Dazu gehörten unter anderem die verschiedenen literarischen Umsetzungen der weltweit Aufsehen erregenden Verstrahlung japanischer Fischer während des amerikanischen Wasserstoffbombentests Bravo 1954. Deutlicher als bisher wandte sich die Literatur damit auch der Frage zu, welche Verantwortung der Einzelne im globalen Konflikt trage. Ein Beispiel für die Individualisierung war das 1955 uraufgeführte Drama Das Kalte Licht des aus der US-Emigration nach Europa zurückgekehrten Carl Zuckmayer. In ihm wurde mehr oder minder deutlich auf den erst wenige Jahre zurückliegenden Fall des Atomspions Klaus Fuchs und auf das in der Öffentlichkeit kaum weniger diskutierte Verhalten Albert Einsteins zwischen politischer Förderung der Atombombe und Bekämpfüng der Nuklearwaffen verwiesen. Besonders provokant war Zuckmayers Zeichnung des im Westen als Verräter und im Osten als Held geltenden Fuchs. Fuchs erschien bei ihm als ein moralisch integrer Wissenschaftler, der sich von keiner Seite vereinnahmen lassen will. Auch die 1961 und 1964 entstandenen Dramen Die Physiker des Schweizer Schrifstellers Friedrich Dürrenmatt und In der Sache J. R. Oppenheimer des 1959 in den Westen übergesiedelten ehemaligen DDRAutors Heinar Kipp-hardt thematisierten ausdrücklich die Forderung nach individueller Verantwortung im globalen Konflikt.
Bis zum Ende des Kalten Krieges blieben seine
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