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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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lettischen Riga tagte, um das Verhalten des Protestantismus im Kalten Krieg zu bilanzieren, sprach, wie nach dem Ende des Dritten Reiches, erneut von einem «Eingeständnis der Schuld». 75 Trotzdem wurden gerade die Kirchen zu einem wichtigen Sammelpunkt des politischen Widerstands in den ostmitteleuropäischen Staaten, einschließlich der DDR. Sie waren häufig die einzige feste Adresse für Opposition und Widerstand. So war es kein Zufall, daß sich in der Endphase des Ostblocks die diversen, häufig auch dezidiert areligiösen oppositionellen Gruppen unter dem Dach der Kirchen trafen.
    In welcher Weise sich die Römisch-Katholische Kirche offiziell im Kalten Krieg verortete, läßt sich anhand der Politik des Vatikan zeigen. Aus seiner Sicht war die Situation eindeutig. Seit 1941 hatte Papst Pius XII. befürchtet, daß aus dem Zweiten Weltkrieg ein «riesiger kommunistischer Block» hervorgehen könne, und er sah sich durch den Kalten Krieg bestätigt. 76 Obwohl sich gerade US-Präsident Truman nach 1945 bemühte, eine Art offizielles antikommunistisches Bündnis mit dem Vatikan zu schließen, kam es dazu nicht. 77 Unabhängig davon war die Katholische Kirche aktiv beteiligt, als die amerikanische Regierung beschloß, im italienischen Wahlkampf 1947/48 die Christdemokraten zu unterstützen, die schließlich auch den Sieg davontrugen. In der gleichen Weise war der Vatikan auch im katholischen Süd- und Mittelamerika und selbst im mehrheitlich buddhistischen Vietnam politisch tätig geworden. Als verläßlicher Verbündeter erwies er sich auch in den sechziger Jahren mit seiner Auffassung, daß Befreiungstheologien, die die US-Regierung für dezidiert kommunistisch hielt, bekämpft werden müßten. Die Befreiungskirchen («Theologie der Armen»), die damals vor allem an der umkämpften Peripherie des Kalten Krieges, in den mehrheitlich katholischen Entwicklungsländern Lateinamerikas, aber zum Beispiel auch in Indien oder auf den Philippinen auf dem Vormarsch waren, leiteten ihre politisch-sozialethischen Forderungen vor allem aus der wörtlich-lcontextuellen Auslegung der Bibel ab. 78 Man berief sich aber nicht zuletzt auch auf die Katholische Kirche selbst, insbesondere auf das Zweite Vatikanische Konzil und die 1963 verbreitete Enzyklika Pacem in terris (Frieden auf Erden), in der Papst Johannes XXIII. unter anderem Gerechtigkeit und Abrüstung eingefordert hatte. Seit der Synode von Medellin 1968 war die Befreiungstheologie sogar noch dezidierter politisch geworden. Die Verfechter einer «Theologie der Revolution», wie die Erzbischöfe von Brasilien und El Salvador, Dom Helder Cämara und Oscar Arnulfo Romero, oder auch der Mitkämpfer Che Guevaras, der katholische Priester Camillo Torres, unterstützten öffentlich sozialistisch-kommunistische Staatsvorstellungen. Dazu gehörten in Argentinien auch Juan Perön, in Chile Salvador Allende Gossens und in Nicaragua die Sandinisten. Hier wurde ein Befreiungstheologe, Ernesto Cardenal, später sogar Kulturminister.
    Wie die amerikanische Politik reagierte auch die Katholische Kirche in allen diesen Fällen scharf. Bis über das Ende des Kalten Krieges hinaus blieb die Befreiungskirche eine unerwünschte, linke Richtung des Katholizismus. Cardenal wurde 1985 von Papst Johannes Paul II. offiziell suspendiert, ebenso der in Brasilien geborene Theologe Leonardo Boff. Boff wurde wegen seiner Veröffentlichungen von der päpstlichen Glaubenskongregation sogar zu einem Jahr Schweigen und dem Verlust aller kirchlichen Ämter verurteilt. Nach erneuter Disziplinierung legte Boff 1992 dann endgültig sein Priesteramt nieder.
    Die aktiven Eingriffe des Vatikan in die Fronten des Kalten Krieges, die unter anderem auch Fragen der Abrüstung und das Palästina-Problem betrafen, fanden im letzten Jahrzehnt des Konflikts noch einmal eine deutliche Steigerung. 79 In dieser letzten, heißen Phase des Kalten Krieges traf Papst Johannes Paul II. 1982 auch direkt mit US-Präsident Reagan zusammen, um über gemeinsame Strategien zu sprechen, wie man die politische Opposition in Polen, insbesondere die Gewerkschaft Solidarnosc unterstützen und von hier aus die Sowjetunion destabilisieren könnte. Reagan berichtete später, daß der Papst mit ihm in der Auffassung übereinstimmte, daß die Jalta-Abmachungen 1945 ein großer Irrtum gewesen seien. 80 In den folgenden Jahren fanden dann weitere regelmäßige Konsultationen der US-Regierung mit dem Vatikan statt. Auch andere hochrangige

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