Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
sei, die das Armageddon des Alten Testaments noch erleben werde. Bei manchem Zeitgenossen ließ dies den Eindruck entstehen, als rücke damit nun tatsächlich der Atomkrieg in den Bereich des Möglichen.
Daß dieses Verständnis von Religion in der US-Regierungspolitik einem schlichten politischen Nutzen untergeordnet war, zeigte sich einerseits im Verhältnis zu den sogenannten «linken» Strömungen des Christentums, etwa der sogenannten Befreiungstheologie, die vor allem in den Entwicklungsländern Lateinamerikas auf große Zustimmung stieß. Andererseits orientierte sich auch das Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen jeweils daran, ob sie gewillt waren, ein positives Verhältnis zu den USA und zum Westen im Kalten Krieg zu unterhalten. Besonders deutlich wurde dies im Fall des Islam. Ein positives Verhältnis zu muslimischen Ländern bestand, wenn sie Verbündete waren oder ihre Außenpolitik sich ansonsten prowestlich zeigte. Im Fall Pakistans, Saudi-Arabiens oder Kuwaits waren islamische Staaten verläßliche Bündnispartner der USA, mit deren Hilfe es sogar möglich wurde, sowohl die UdSSR als auch feindliche islamische Staaten - so etwa den Iran in den achtziger Jahren - zu bekämpfen. Pakistan wurde zum wichtigsten Umschlagplatz amerikanischer Unterstützung für die antisowjetischen islamischen Gruppen in Afghanistan. Daß dies langfristig nicht nur eine erhebliche politische Aufwertung Pakistans - etwa in seinem Dauerkonflikt mit Indien -, sondern auch eine ebenso politisch heikle Stärkung des radikalen, auch antiwestlichen Islamismus bedeutete, blieb zunächst zweitrangig. Doch selbst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde dies in den USA als hinzunehmender «Preis des Sieges im Kalten Krieg» interpretiert. 69
Negativ wurde das Verhältnis der US-Politik zu den Religionen in jenen Fällen, in denen eine prosowjetische Tendenz angenommen wurde. In Indonesien etwa, wo aus der wichtigsten antikolonialen Bewegung, der religiös-politischen «Islam-Vereinigung» (Sa-rekat Islam), auch die Kommunistische Partei Indonesiens hervorgegangen war, blieb das amerikanische Mißtrauen im Kalten Krieg entsprechend hoch. 70 Die Nähe des dort ab 1949 amtierenden indonesischen Staatspräsidenten Achmed Sukarno zum Kommunismus und seine Bedeutung für die Region wurden in Washington schließlich sogar als so bedrohlich eingeschätzt, daß man glaubte, nur sein Tod könne das Überlaufen zum Gegner verhindern. Der Plan wurde zwar nicht ausgeführt, doch das Mißtrauen blieb auch gegenüber allen anderen Staaten erhalten, in denen sich sozialistische Ideen und der Islam verbunden hatten. Dies betraf gerade viele der blockfreien Länder.
Das politische Mißtrauen der US-Regierung konnte sich aber auch auf andere, nichtchristliche Religionen ausdehnen, so etwa auf den im Vergleich eher unpolitischen Buddhismus. So waren vor und während des Vietnamkriegs insbesondere buddhistische Mönche in Südostasien prokommunistischer Sympathien verdächtig. Diese Vorstellung wurde dadurch gefördert, daß sie bereits unter französischer Herrschaft als Helfer der Kommunisten galten, zumal einige von ihnen nachweislich an Aufständen teil-nahmen und es nach der Teilung 1954 zu einer regelrechten Massenflucht von Buddhisten nach Süden gekommen war. Es entsprach daher durchaus sicherheitspolitischen Erwägungen, daß der 1954 auf Wunsch der Franzosen und der USA eingesetzte südvietnamesische Regierungschef Ngö Dinh Diem, der das Land bis zu seiner Ermordung 1963 führte, aus der christlichen Minderheit Vietnams stammte. 71 Die Probleme ließen nicht lange auf sich warten. Den Ausgangspunkt der sogenannten Buddhistenkrise 1963, in deren Verlauf es zu einem regelrechten Aufstand der mehrheitlich buddhistischen Bevölkerung in Südvietnam gegen Diem und in Teilen auch gegen den Katholizismus kam, bildete eine frappierende Benachteiligung des Buddhismus gegenüber dem Christentum. In der Stadt Hue hatte Diems Behörden während der höchsten buddhistischen Feiertage, der Feste zum 2506. Geburtstag des Religionsstifters Buddha ein Fahnenverbot verhängt, während die Flagge des Vatikan ohne Restriktionen wehen durfte. Die absehbaren Proteste hatte Diem dazu benutzt, mit dem Buddhismus grundsätzlich abzurechnen. Südvietnamesischen Soldaten war befohlen worden, in Prozessionen zu schießen und Tempel zu umstellen. Am Ende hatte man mehr als 11 000 Mönche, Nonnen, aber vor allem sympathisierende Studenten verhaftet.
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