Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
sondern die Atomkraft insgesamt ist nicht beherrschbar. «Wie Goethes Zauberlehrling, der konnte, so steht heute die oberste amerikanische Atomenergie-Behörde in größter Besorgnis vor der Katastrophe des l.März», vermerkte die konservative westdeutsche Zeitung Die Welt. 16 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach einen Tag später das aus, was Menschen auch Tausende von Kilometern vom Explosionsort der H-Bombe entfernt bewegte: «Schon fragt man sich, ob nicht die Wolke radioaktiven Staubes noch schlimmeren Schaden anrichten könnte als nur den, die Besatzung eines Fischdampfers und die Fischfanggebiete zu vergiften. Wie, wenn eines Tages die Wolke sich noch weiterbewegte und sich etwa auf den ostasiatischen Reisfeldern und auf amerikanischen Weizengebieten niederließe.» Ähnlich pessimistisch war der Tenor der päpstlichen Osterbotschaft, die ebenfalls ausdrücklich auf die ökologischen Folgen der Kernwaffenversuche hinwies. Aber nicht nur in Europa formierte sich der Protest, der in Teilen bereits ausdrücklich gegen die Amerikaner gerichtet war. In Japan, das drei Jahre zuvor den Friedensvertrag mit den USA geschlossen hatte, zeigten sich in den Kommentaren deutlich antiamerikanische Züge. Auch der indische Präsident Nehru, einer der ersten, der sich im folgenden Jahr der Blockfreienbewegung anschloß, protestierte unter ausdrücklichem Hinweis auf das Unglück der japanischen Fischer gegen die Atombombenversuche.
Dennoch war der Bravo-Test trotz aller Aufregung, die er auslöste, nicht der Beginn einer grundsätzlichen Kritik an den Wirkungsweisen des Kalten Krieges oder gar an der Nutzung der Atomkraft. Schon parallel zu den kritischen Artikeln hatte der konservative Rheinische Merkur in der Bundesrepublik im März
1954 von «großdimensionierter Panikmache» und einer «Atomhysterie» gesprochen. 17 Zwar fehlte es auch weiterhin nicht an Warnungen vor der «menschlichen Hybris», der «Versuchung des Schöpfers» oder gar vor der «Gotteslästerung». In der Folgezeit wurde aber auch diese ungeheure Zerstörungskraft langfristig in die Normalität des Kalten Krieges und des «Atomzeitalters» eingepaßt. Kritik rückte deshalb bereits im April 1954 auch in den Ruch, man wolle das Feld den Kommunisten überlassen. Dies sei Selbstmord, hatte schon einen Monat nach den Nachrichten aus dem Pazifik wiederum der regierungsnahe Rheinische Merkur betont: einen Verzicht könne man nur wollen, wenn man sich entschließe, «die Bolschewisierung der ganzen Erde als unentrinnbares Fatum hinzunehmen». 18 Schließlich waren es im Westen nur noch die dem linken Spektrum verpflichteten Blätter, die es wagten, kritische Kommentare zu veröffentlichen. Jeder Stopp der Tests - so war spätestens ab Mai 1954 der mehrheitliche Tenor im Westen - nütze allenfalls den Sowjets. Langfristig blieben allein die Schriftsteller auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs dem Thema verpflichtet: Anna Seghers, die 1947 aus der Emigration in die SBZ zurückgekehrt war und als literarisches Aushängeschild der DDR galt, veröffentlichte 1954 ihre Kurzerzählung Der japanische Fischer. Der in der Bundesrepublik lebende Wolfgang Weyrauch publizierte im selben Jahr ein gleichnamiges Gedicht und zwei Jahre später ein fast titelgleiches Hörspiel, in dem er vor allem das Ausgeliefertsein vor der gespenstischen Verstrahlung thematisierte. 19
Insgesamt jedoch lagen die Versuche, die Nukleartests als hinzunehmende Normalität des Kalten Krieges und als eine Notwendigkeit der eigenen Sicherheit zu interpretieren, dem Zeitgeschmack näher. Nur wenige Monate vor dem Bravo-Test hatte US-Präsident Eisenhower im Dezember 1953 in einer zentralen Rede vor den Vereinten Nationen vor allem den Nutzen der Atomkraft zur Erreichung eines weltweiten Friedens beschworen. Atoms for Peace hieß das Schlüsselwort, mit dem der US-Präsident die Atomkraft als Garant für die Sicherheit der Welt und den wirtschaftlichen Aufschwung, für die Lösung der Probleme der Entwicklungsländer und insgesamt für ein friedliches Zusammenleben der Menschheit pries. «Die Vereinigten Staaten wissen», so Eisenhower in seiner pathosreichen Ansprache, «daß die fürchtbarste aller zerstörerischen Kräfte, die Atomenergie, zu einer großen, dem Wohlergehen der gesamten Menschheit dienenden Gabe werden kann, wenn es gelingt, die erschreckende Tendenz zu einem immer weiteren Ausbau der Atomwaffen zum Halten und zur Umkehr zu
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