Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters
bringen. Die Vereinigten Staaten wissen, daß es kein Zukunftstraum mehr ist, aus der Atomenergie Kräfte für friedliche Zwecke zu gewinnen. Die erwiesene Möglichkeit dazu besteht jetzt - hier - heute.» 20
Von manchem wurde diese Rede, die intern unter dem Codenamen «Operation Offenheit» (Operation Candor) lief, sogar als Beginn einer globalen Entspannungspolitik, hin und wieder auch nur als eine Neuaufnahme der Ansätze des Baruch-Plans von 1946/47 interpretiert, dessen Verhandlungen damals Herbert Swope zur Schöpfung des Begriffs «Kalter Krieg» angeregt hatten. In seiner Intention jedoch war das Unternehmen «Atome für den Frieden» viel breiter angelegt. Es war vor allem der Versuch, eine Normalität des «Atomzeitalters» herzustellen, die mehr sein sollte als «die Bombe».
Mentalitäten im Atomzeitalter
Atomare Energie bekam auf diese Weise seit Beginn der fünfziger Jahre eine zweifache Bedeutung: Einerseits Bedrohung, andererseits Verheißung - es gab sozusagen «gute» und «schlechte» Atome. In der Verheißung wurde die Atomkraft als ein «unerschöpfliches Füllhorn» gepriesen. 21 Atomkraft, so die Vision, die vor allem auch in populären Darstellungen ausführlich ausgebreitet wurde, enthielt demnach eine bisher weitgehend ungenutzte Vielfalt von Zukunftsperspektiven: Erschließung und Nutzung der Arktis, der Wüsten und der Weltmeere, Straßen- und Kanalbau, Antrieb von Kraftfahrzeugen aller Art, einschließlich von Schiffen, Flugzeugen, Hubschraubern, Autos oder Lokomotiven. Atomkraft erschien jedoch nicht nur als die Lösung für technische oder entwicklungspolitische Probleme der Dritten Welt, sondern auch in der Medizin. Nicht zuletzt waren es die Möglichkeiten in privaten Haushalten, die die Phantasie anregten. «Babyreaktoren» sollten auch hier unbegrenzte Energie zur Verfügung stellen. Edward Teller, neben Oppenheimer einer der verantwortlichen Leiter des Manhattan Project in Los Alamos und die treibende Kraft hinter der amerikanischen Wasserstoffbombe, rührte bis zu seinem Tod die Werbetrommel für den umfassenden Einsatz der Atomkraft. Um die Machbarkeit des Einsatzes von Nuklearexplosionen für Baumaßnahmen zu demonstrieren, wurde am 6. Juli 1962 sogar auf dem Testgelände Frenchman Flat in Nevada ein Atomsprengsatz von 110 Kilotonnen in einer Tiefe von 190 Metern gezündet. Er produzierte ein gigantisches Loch von 180 Metern Tiefe und 360 Metern Breite, dem man den Namen «Se-dan-Krater» gab. Eingesetzt wurde die Technik im Westen dann allerdings doch nicht. Vorschläge gab es jedoch genügend - unter anderem für Kanaldurchbrüche in Asien und Mittelamerika.
Die Mentalität im Umgang mit der Nuklearenergie war zwar in der Sowjetunion und im Ostblock dieselbe, die Möglichkeiten der
die «guten» und die «schlechten atome» Eine der zahlreichen Werbekampagnen der frühen fünfziger Jahre, die die auch in der Öffentlichkeit heißdiskutierten zwei Seiten der Atomkraft als Motiv aufnahm. Atomkraft als Bedrohung und militärische Notwendigkeit, aber auch als positive Zukunftsvision, so etwa für den medizinischen Fortschritt.
Umsetzung waren aber ungleich größer. Zwischen 1965 und 1988 wurden hier über einhundert «friedliche Explosionen» ausgelöst, die unter anderem 1971 die Ausschachtungen für den Petschora-Kolwa-Kanal beschleunigten. 22 Kritik blieb hier unerwünscht. Aber nicht nur Techniker konnten sich in den fünfziger Jahren für die angeblich unbegrenzten Möglichkeiten der Atomkraft begeistern. Der 1948 aus der Emigration in den USA zurückgekehrte und dann zunächst in der DDR an der Leipziger Universität tätige Philosoph Ernst Bloch schwärmte in seinem zentralen, 1959 erschienenen Werk Das Prinzip Hoffnung von «der blauen Atmosphäre des Friedens», in der die Atomkraft «aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling» mache. «Einige Hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln.» 23 Selbst die Demokratie sollte gestärkt aus der Nutzung der sonst vorwiegend als zerstörerisch bekannten Atomkraft hervorgehen. In der Bundesrepublik formulierte der «Atomplan» der SPD auf dem Parteitag 1956: «Ein neues Zeitalter hat begonnen. Die kontrollierte Kernspaltung und die auf diesem Wege zu gewinnende Kernenergie leiten den Beginn eines neuen Zeitalters für die Menschheit ein. [...] Die Hebung des Wohlstandes, die von der
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