Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
Vom Netzwerk:
lief und mit ihm eine völlig neue Bedrohungslage entstand. Wie leistungsfähig die Nautilus war, zeigte sich 1958, als sie zum ersten Mal das Polareis des Nordpols durchtauchte. Seit 1955 dachte man auch über Nuklearantriebe für Flugzeugträger nach. Diese Idee wurde fünf Jahre später mit dem Stapellauf der USS Enterprise verwirklicht. Begonnen wurden 1957 auch Versuche,
    Atomreaktoren für Flugzeuge zu bauen. Die Vision war, daß nuklear angetriebene Strategische Bomber wie U-Boote unbegrenzte Zeit im Einsatz bleiben konnten. Niemand, so die Kalkulation, würde es zudem wagen, ein solches Flugzeug über dem eigenen Territorium abzuschießen. Das Projekt wurde nach geschätzten Kosten von etwa sieben Milliarden Dollar 1961 schließlich eingestellt. Übrig blieben zwei etwa sieben Meter hohe Strahltriebwerke auf dem Gelände des Idaho National Engineering Laboratory.
    Anders als bei der zivilen Nutzung, gegen die, zumindest im Westen, die Proteste seit den siebziger Jahren kontinuierlich wuchsen, konnte die militärische Verwendung der Nuklearenergie auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs nahezu unbeeindruckt von Unfällen weiterentwickelt werden. Nie zuvor konnten Physiker mehr Anerkennung für ihre Arbeit erwarten als in jenen ersten Jahrzehnten des Kalten Krieges, in denen die Produktion von Atomwaffen sowohl im Westen als auch im Ostblock als nationale Tat galt. Amerikanische Physiker wie Fermi, Teller oder Oppenheimer wurden in den USA ebenso wie Chariton, Semjonow oder Seldo-witsch in der Sowjetunion als Helden gefeiert. Bis auf wenige Ausnahmen waren sie alle angesichts der angenommenen Bedrohung mit der Verwertung ihrer Forschungen zu militärischen Zwecken einverstanden. Kritische Physiker wie Robert Jungk, dessen Werk Heller als tausend Sonnen 1956 die Ächtung aller Atomwaffen forderte, waren nicht nur in der Zunft die Ausnahme. 26
    Entsprechend wenig Aufmerksamkeit wurde daher zunächst auch der Entsorgung des radioaktiven Abfalls oder dem Strahlenschutz gewidmet. Produktions- und Versuchsanlagen für atomare Waffen waren in den USA und der Sowjetunion militärisches Sperrgebiet und in der Regel in abgelegenen, ökonomisch schwachen Regionen angelegt worden. So stand Hanford, die «Atomstadt» («Atomic City»), wo ab 1943 die Plutoniumerzeugung des Manhattan Project aufgebaut wurde, in den sogenannten Badlands des US-Bundesstaats Washington. Als 1944 hier der erste Plutoniumreaktor der Welt - der berühmte B Reactor, der den Stoff für die Nagasaki-Bombe lieferte - entstand und bis 1968 in Betrieb blieb, fanden nicht nur die bereits ansässigen Bewohner Arbeit. Darüber hinaus wurden bereits während des Zweiten Weltkriegs zusätzlich rund 300 000 Menschen dorthin abgeordnet. Von den 14 Plutoniumreaktoren in den USA standen allein in Hanford schließlich neun. Der letzte wurde 1963 eingeweiht. Die Abfälle wanderten auch in den USA bis in die sechziger Jahre direkt in offene Gruben oder benachbarte Tümpel, die man damals als natürliche «Filter» betrachtete. Später bewahrte man Reste der nuklearen Produktion in mehr oder minder unsicheren Tanks auf. Das berüchtigte Sammelbecken «101 SY» in Hanford bildete daher die gleiche Gefahr wie das sowjetische Atomlager bei Kyschtym, das 1957 in die Luft flog. Heute ist Hanford mit genau 1377 hochbelasteten Stellen der von allen Stätten des Kalten Krieges am stärksten radioaktiv verseuchte Ort der Vereinigten Staaten, dessen dringend notwendige Sanierung mit fünfzig Milliarden Dollar veranschlagt wird. 27
    Die Sowjetunion hatte elf solcher atomaren Produktionsstätten, die ebenfalls als Staatsgeheimnis galten und auf keiner allgemein zugänglichen Landkarte vermerkt waren. Wer wissen wollte, wo die «geheimen Städte» der UdSSR waren, brauchte allerdings auch hier nur den Weg des Abfalls zurückverfolgen. Von 1948 bis 1951 wurden im Kernwaffenkomplex Tscheljabinsk hochradioaktive Abfälle aus der Produktion direkt in den Fluß Techa gepumpt. Schwächer belastete Stoffe gingen noch bis 1956 den gleichen Weg. 28 Zwar gab man auch hier diese Praxis auf, als man bemerkte, welche Probleme daraus für die Geheimhaltung erwuchsen. Doch Tscheljabinsk gilt wie Hanford bis heute mit seinen ungewöhnlich hohen Strontium90-, Caesiuml37- und Plutonium239-Konzentrationen als eines der weltweit am stärksten radioaktiv verseuchten Gebiete. Die Regierung in Moskau begegnete dem Problem ansonsten in einer durchaus mit den USA vergleichbaren Weise. Bis 1961 wurden

Weitere Kostenlose Bücher