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Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters

Titel: Der Kalte Krieg 1947-1991 - Geschichte eines radikalen Zeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Stöver
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und rund 9000 nukleare Sprengsätze verfügbar waren. 6 Dennoch war im Westen selbst an den großen Demonstrationen gegen die Atomwaffen immer nur eine Minderheit beteiligt. Für die DDR läßt sich diese Tendenz in der öffentlichen Meinung zwar viel weniger messen, da Kritik an der Aufrüstung der eigenen Seite als strafbarer politischer Widerstand gewertet und entsprechend wenig geäußert wurde. Aber auch beim staatlicherseits erwünschten und verordneten Protest gegen die Rüstung «der NATO-Staaten» blieb das Interesse begrenzt. Friedensgruppen, die sich blockübergrei-fend gegen die Aufrüstung beider Seiten aussprachen, waren auch in der DDR der achtziger Jahre eine Minderheit.
    Normalität war aber nicht nur in Mitteleuropa, sondern insbesondere auch auf dem Territorium der Supermächte ein Leben nahe der potentiellen Primärziele für Atomwaffen, zumal schließlich fast jede größere Metropole zu einem solchen Ziel wurde. Aber auch außerhalb der Zentren war es kaum sicherer. Quer über die Vereinigten Staaten - über die Bundesstaaten Arizona, Montana, Wyoming, North und South Dakota, Kansas, Missouri und Arkansas - waren seit den späten fünfziger Jahren Hunderte von Silos für Interkontinentalraketen angelegt worden. In der UdSSR war dies nicht anders. Zwischen Derazhnya nahe den Karpaten und Perwomaisk auf der Krim im Westen und Svobodnyy und Drovyanaya, östlich des Baikalsees an der sowjetisch-chinesischen Grenze, befanden sich die sowjetischen ICBM-Stellungen. In dieser Nachbarschaft blieb nur die Verdrängung der Gefahr oder der fatalistische Glaube an die Notwendigkeit.
    Wie weit diese nukleare Normalität bereits in den Alltag eingedrungen war, zeigte auch die Zeitschriftenwerbung. Die US-Flug-zeugindustrie warb in den fünfziger Jahren um Vertrauen in atomare Trägersysteme («Die B-47 ist unser schnellster Bomber»), die Stahlindustrie pries ihre Erzeugnisse für neue Raketengenerationen («Für die Anforderungen der Raketen von morgen»), und der Baumaschinenhersteller Caterpillar warb vor dem Bild einer Atombombenexplosion für mehr Investitionen im Straßenbau («Der beste Grund für bessere Straßen»). 7 Auch die Spielzeugindustrie wußte, was gewünscht war: Ab 1958 warb sie unter anderem für eine detailgenaue Atomic Annie, die erste 280-mm-Atomkanone, im Miniformat. Auch im geteilten Deutschland hielt der Kalte Krieg mit Spielzeugraketen und Panzern Einzug in die Kinderzimmer. 8 Eine Normalität der atomaren Waffen suggerierten nicht zuletzt auch Schlager in den vierziger und fünfziger Jahren. So befand sich auf der B-Seite von Bill Haleys berühmter, 16 Millionen Male verkaufter Single Rock Arounä the Clock ein anzüglicher Titel über den Atomkrieg, der dreizehn Frauen und nur einen Mann übrigläßt. 9 Doris Day sang Tic, Tic, Tic (you give me a radioactive kick),
    die Normalität des «atomzeitalters» Werbung für die Wahlen zur Miss Atomic Bomb 1957 in Las Vergas

    explosives «atomic age angel food» Admiral W. H. P. «Spike» Blandy, seine Frau und Konteradmiral F. J. Lowry feiern im November 1946 in der amerikanischen Hauptstadt Washington den erfolgreichen Abschluß der Atombombentestreihe «Operation Crossroads» mit einer Sahnetorte in Form eines «Atombombendoms». Nuklearwaffen waren auf dem besten Weg, zur alltäglichen Normalität zu werden.
    Fay Simmons fand You Hit Me Baby Like An Atomic Bomb, und wieder andere schwärmten von Atom Bomb Baby (a million tons of TNT), einer Radioactive Mama (hold me tight/treat me right/well reach critical mass tonight) oder, wie George McKelvey, vom Radiation Baby, My Teenage Fallout Queen. Die Grundidee aus Haleys bizarrem Titel - das Überleben eines kleinen Kerns der menschlichen Gesellschaft nach einem Atomkrieg - fand sich einige Jahre später in der Schlußszene von Stanley Kubricks Atomkriegssatire Dr Strangelove wieder. Wer wissen wollte, wie eine «Miss Atomic» oder «Miss Atomic Bomb» aussah, konnte sie schon 1946 bei einer der vielen Miss-
    Wahlen antreffen, die unter anderem auch nahe den Atomtestgebieten im US-Spielerparadies Las Vegas stattfanden. Im selben Jahr, nur wenige Tage nach Beginn der amerikanischen Kernversuche auf dem Bikini-Atoll im Pazifik, stellte der Modedesigner Louis Reard in Frankreich einen damals gewagten zweiteiligen Badeanzug mit dem Namen Bikini vor. Sein Konkurrent Jacques Heim, der die gleiche Idee gehabt hatte, nannte seine Kreation «Atom». 10
    In gewisser Weise wurde in Deutschland auch

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