Der kalte Kuss des Todes
sein letztes Opfer sein. Dafür jedenfalls lohnte es sich jetzt, mit aller Energie zu kämpfen.
Dass sein Urlaub so unerwartet unterbrochen worden war, tat Kolossow nicht sonderlich Leid. Er hatte ohnehin nicht recht gewusst, was er im Urlaub anfangen sollte – Geld, um wegzufahren, hatte er wie immer keins. Nur die schon seit Ewigkeiten geplante Reparatur seines Autos, zu der er schon gar keine Lust mehr hatte, und gelegentliche Treffen mit Freunden zum Schaschlik im Grünen standen auf dem Plan. Als Chalilow ihn am 30. Mai zu Hause anrief und um ein sofortiges Treffen bat, reagierte Kolossow daher sehr gelassen. Er wusste, Renat würde ihn nicht wegen irgendwelcher Bagatellen stören.
Der Grund für den Anruf war eine Information, die Chalilow von einem seiner Spitzel bekommen hatte: Die Michailow-Bande habe »eine Knarre bestellt«. Eine auf den ersten Blick nicht weiter ungewöhnliche Information. Es war kein besonderes Geheimnis, dass die Michailow-Gang von Zeit zu Zeit ihr Waffenarsenal auffüllte – schließlich waren sie Banditen. Der springende Punkt war, welche Art von Waffe man bestellt hatte. Aus irgendeinem Grund wollten die Michailow-Leute unbedingt eine »Colt-Sporter« haben, eine ausländische und nach verbreiteter Meinung nicht allzu komfortable Waffe; sie verdankte ihr Prestige in erster Linie dem berühmten Markennamen, ihrem fantastischen Preis und einer passablen Optik. Der Wert dieser Information bestand darin, dass bereits in drei Fällen von Auftragsmord eine am Tatort zurückgelassene »Colt-Sporter« gefunden worden war. Und in allen drei Fällen gab es einen konkreten Verdächtigen, der auf der Landesfahndungsliste stand. Es handelte sich um Wsewolod Antipow, in der Unterwelt besser unter dem sentimentalen Spitznamen »Käpt’n Grant« bekannt.
Grants erster Schuss hatte in Murmansk gekracht. Im Herbst 1996 liquidierte er dort den Manager einer ortsansässigen Reederei. Seine beiden nächsten Opfer waren Moskauer: der Besitzer einer Kette von Supermärkten, die rund um die Uhr geöffnet hatten, sowie dessen Leibwächter. Im dritten Fall war das Opfer ein zurückgezogen lebender Invalide zweiten Grades, der in einer dreistöckigen Villa mit Aufzug und Tiefgarage in Odinzowo bei Moskau wohnte. Dieser Alte, der acht Vorstrafen auf dem Buckel hatte, fungierte seit vielen Jahren als Kassenwart einer Bande aus Kolomna. Seine Ermordung erboste die Gang bis zur Weißglut. Sie schworen, nicht nur mit den Auftraggebern abzurechnen, sondern auch herauszubekommen, wer den Abzug betätigt hatte. Die Miliz erhielt in diesem Fall ein Geschenk von der Mafia: Grants Name wurde nicht länger geheim gehalten.
Doch Antipow-Grant erwies sich als harte Nuss. Er verschwand, war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Man vermutete ihn an den verschiedensten Orten: von Griechenland bis Schweden, von Teneriffa bis Miami wurden alle möglichen Verstecke genannt. Grant verfügte über genügend Geld, und er war noch jung, flexibel und abenteuerlustig. Kurz und gut: Nachdem die landesweite Fahndung nach Grant ausgerufen worden war, verschwand er für ein Jahr aus dem Sichtfeld der Justiz.
Ein sehr wesentliches Detail, seine Gewohnheiten betreffend, stellte man jedoch fest: Er bevorzugte bei der Beseitigung seiner Opfer einen ganz bestimmten Waffentyp, eine »Colt-Sporter«, und ließ das Gewehr jedes Mal am Tatort zurück. Über die Gründe, die ihn veranlassten, ein so teures und auf dem russischen Waffen-Schwarzmarkt sehr seltenes Gewehr zu benutzen, konnten die Ermittler nur Vermutungen anstellen. Vielleicht trieb Grant auf diese Weise seinen Preis in die Höhe und zwang seine Auftraggeber, mehr Geld auf den Tisch zu legen, denn die Kosten für den Erwerb einer Waffe trägt bei einem Auftragsmord fast immer die »interessierte Partei«.
Vielleicht handelte es sich aber auch um eine Art von Imagepflege. Oder es war noch viel einfacher: Da Grant kein professioneller Scharfschütze war, sondern nur ein begabter Amateur, verließ er sich nicht auf seine eigenen Fähigkeiten, sondern vertraute vollkommen der berühmten Waffenmarke – sein Colt-Gewehr würde ihn im entscheidenden Moment schon nicht im Stich lassen.
Die Informationen, die Chalilow von seinem Mittelsmann bekommen hatte, waren höchst aufschlussreich. Offenbar war ein erbitterter Feind der Bande aufgetaucht, mit dessen Beseitigung die Michailow-Gang keinen Geringeren als Antipow-Grant beauftragt hatte. Dass dieser seine tropischen Strände
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