Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
eine Weile, er schien sich zu korrigieren.
»Nein«, sagte Josip, auf einen Notizzettel blickend. »Am Anfang nicht die 3, sondern die 2. Am Ende nicht die 4, sondern die 7.«
Bran rieb sich die Schläfen. »Ist gespeichert.« Er grinste.
»Von Pécs aus fährst du weiter nach Süden, dann kommst du in die Baranja und nach Osijek. Da erwarten dich unsere Freunde vor dem Urania-Kino. Du gibst ihnen die Waffen, und sie bringen dich ins Kampfgebiet.«
»Sie sollen mich nach Borovo Selo bringen«, sagte Bran. »Da hab ich eine Rechnung offen.«
»Zwölf Rechnungen«, sagte Thomas’ Vater.
»Pass auf deine Eier auf«, sagte einer der Ustaschensöhne. »Ich hab gehört, die Tschetniks schneiden uns die Eier ab.«
»Sie rösten sie und essen sie«, warf ein anderer ein.
»Damit ihnen auch dicke kroatische Eier wachsen.«
»Lasst meine Eier meine Sorge sein«, erwiderte Bran. »Und die meiner Frau.«
»Geh jetzt zu ihr«, sagte Josip. »Sie hat ein Recht darauf, dass du dich um sie kümmerst, bevor du fährst.«
»Živjeli!«, sagte Bran, und alle hoben das Glas.
Die Tschetniks, hatte Josip am Vortag im Granada erklärt, waren aus Serbien nach Borovo Selo gekommen. Ihr Führer war ein Mann namens Vojislav Šešelj, der noch von einem der Tschetnikoffiziere aus dem Zweiten Weltkrieg den Titel »Woiwode« erhalten hatte. Dieser Mann, Šešelj, wollte die Kroaten vernichten und Serbien bis wenige Kilometer südlich von Zagreb ausdehnen. Seine Leute hatten die Leichen der kroatischen Polizisten verstümmelt, wie es die Tschetniks von damals getan hatten, und jetzt verteilten sie sich über Ostslawonien, um einen Ort nach dem anderen kroatenfrei zu machen.
Sie hatten auf einen Vorwand gewartet, um loszuschlagen. Am Abend des 1. Mai hatten die Kroaten ihnen diesen Vorwand geliefert. Vier Polizisten hatten die jugoslawische Flagge im Zentrum des von Barrikaden zerstückelten Borovo Selo einholen und die Schachbrettfahne hissen wollen. Serben verhinderten es, Schüsse fielen. Zwei Polizisten konnten fliehen, die anderen beiden wurden verwundet und gefangen genommen. Aus Osijek kam am Tag darauf Verstärkung, hundertsiebzig Kroaten, die sie befreien sollten, doch sie gerieten in einen Hinterhalt. Zwölf starben, über zwanzig wurden verletzt.
Am 3. Mai sagte Präsident Tuđman im kroatischen Radio im Wohnzimmer der Ćavars, dies sei der Beginn eines offenen Krieges, man werde alles tun, um die Freiheit und Souveränität Kroatiens zu schützen. Bewaffnet euch, wenn es nötig ist! Verteidigt euer Land!
Und dann, gestern, hatte das kroatische Fernsehen Fotos der Leichen aus Borovo Selo gezeigt. Einem der Polizisten war das Gesicht zerdrückt, einem der Arm abgehackt, einem die Rückenhaut abgezogen worden. Sie jagen uns wieder, hatte Josip geflüstert, während die Bilder über die Mattscheibe gelaufen waren, von atmosphärischen Störungen zersplittert, verlangsamt, entfärbt, als hätten sie zu Schwarzweißfilmen aus einer längst vergangenen Epoche gehört.
Thomas’ Blick lag auf Bran, der in die Arme seiner Frau gewankt war. Für einen Moment vermischten sich die Zeiten und die Menschen, und er sah Bran an der Seite Titos, sie führten einen schwarzweißen Partisanentrupp durch schwarzweiße Wälder, und auch er selbst und Milo und ihr Vater waren dabei. Er trug die Russenmütze, und jemand nannte ihn »General«, er war der Anführer des Trupps, und weil er die Verantwortung für seine Leute trug, lief er als Letzter, denn hinter ihnen waren Tausende Deutsche und Ustaschen.
Er hob das leere Glas mit der Rechten, schwenkte mit der Linken die Russenmütze, rief: » Živjeli, Bran!«
Niemand schien es zu hören.
Mit den anderen setzte er sich an einen einzelnen Tisch, ein Kellner brachte unaufgefordert Bier. Nachdem er gegangen war, sagte Josip: »Es ist so weit.«
Einige nickten, andere murmelten Zustimmung. Thomas verstand nicht gleich, dann fiel ihm Tuđmans Radiorede ein. Bewaffnet euch, wenn es nötig ist! Verteidigt euer Land!
»Gebt, was ihr geben könnt, nicht mehr«, sagte Josip. »Es bringt nichts, wenn ihr die Mäuler daheim nicht mehr stopfen könnt.«
»Was geben?«, krächzte Thomas’ Vater, der sehr betrunken war.
Josip lächelte. »Geld, Petar.«
»Geld? Für das Brautpaar?«
»Für Waffen«, sagte Thomas.
Sein Vater nickte aufgeregt und begann, in den Taschen zu kramen. Er zog hier einen Schein hervor, dort eine Münze. Am Ende lagen nicht ganz einhundert Mark auf dem Tisch.
Noch immer
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