Der kalte Traum - Bottini, O: Der kalte Traum
an den Grenzen werden gerade informiert, auch in Österreich, Italien, Slowenien, Ungarn, Kroatien.«
Milo nickte.
»Vielleicht kann er ja auch fliehen«, sagte Schneider. »Er war im Krieg, er weiß, wie man kämpft.«
»Erzählen Sie uns von ihm«, sagte Adamek.
Milo schneuzte sich, stieß, das Taschentuch noch an der Nase, hervor: »Er hat so viel … Unsinn gemacht früher.«
»Ja«, sagte Adamek lächelnd.
»Er hatte es gut damals, wirklich, das Leben hat es gut mit ihm gemeint, er konnte sich den Unsinn leisten … und war so liebenswert dabei. Er war naiv, als Kind und auch später, weil er immer alles richtig machen wollte, er wollte mutig sein und aufrichtig und liebevoll … Er wollte sich opfern, er wollte gut sein. Verstehen Sie, was ich meine? Hatten Sie als Kind ein Idol, einen Helden? Wir alle haben doch einen Helden als Kind …«
»Bei mir waren es die Western-Helden«, sagte Adamek.
»Western, ja … Wir hatten einen eigenen Fernseher und haben viele Filme gesehen, einen nach dem anderen, auch Western, die Winnetou-Filme …«
»Shane«, sagte Adamek, »kennen Sie den? Mein großer Freund Shane von 1953.«
»Oh, natürlich! Alan Ladd … Tommy hat geweint, als Shane allein davongeritten ist.«
»Wer nicht?«
»Ich«, sagte Milo.
»Tommy war der kleine Junge, Sie waren Shane.«
»Die Aufgabe war erfüllt, die nächste wartete, ich war schon als Kind ein Spießer.« Thomas sei immer ein kleiner Junge geblieben. Auch mit zwanzig habe er so sein wollen wie seine Helden, das habe ihn angetrieben, auch wenn es ihm nicht bewusst gewesen sei.
»Hat er deswegen in Kroatien gekämpft?«, fragte Schneider.
»Ja, auch. Aber in erster Linie ging es um etwas anderes, um seine Sehnsucht nach einer Heimat.«
Thomas hatte sich, erzählte Milo, die Frage nach einer Heimat nie gestellt. Doch als 1990 die Nationalisten immer häufiger von »der Heimat Kroatien« gesprochen hatten, Parteileute aus Stuttgart, der Vater, kroatische Freunde aus Rottweil, da wurde sie wichtig. Er fühlte sich von einem Tag auf den anderen weder als Deutscher noch als Kroate, und das machte ihm zu schaffen. Egal, ob er mit Deutschen oder Kroaten zusammen war, immer kam er sich unvollkommen vor. »Erst als bei uns daheim ununterbrochen von Heimat die Rede war, ist bei ihm das Gefühl entstanden, dass er keine Heimat hat und dass ihm deshalb was Wichtiges fehlt. Etwas, das alle anderen haben.«
»Und das konnte nicht Deutschland sein?«, fragte Adamek.
»Nein.«
»Sehnt man sich nicht immer nach dem, was weit weg ist?«, warf Schneider ein.
»Ist das so?«, sagte Adamek.
Niemand antwortete.
Also, fuhr Milo fort, hatte Thomas begonnen, für Josip Vrdoljak zu arbeiten, den damaligen Vorsitzenden der HDZ Stuttgart. Er hatte ihn als Chauffeur gefahren, hatte in seinem Auftrag Geld gesammelt, war an einem Waffenschmuggel beteiligt gewesen, den Vrdoljak eingefädelt hatte. Und er war nach Kroatien in den Krieg gezogen, zum ersten Mal Ende 1991 für ein paar Wochen, nach dem Fall von Vukovar, dann jedes Jahr ein-, zweimal, wie andere Emigranten auch, Kroaten, Serben, Bosnier.
»Kriegstouristen«, murmelte Adamek.
»Und der Waffenstillstand?«, fragte Schneider. »In Kroatien war der Krieg doch Anfang 1992 zu Ende.«
»Ach so?«, sagte Adamek.
Sie hob den Blick. »Die UNO hat einen Waffenstillstand vermittelt, Milošević hat den Krieg für beendet erklärt.«
Trotzdem, sagte Milo, habe es serbische Angriffe und auch kroatische Militäraktionen gegeben, in Westslawonien, vor allem aber in Dalmatien, die Operationen »Tiger«, »Maslenica«, »Medak«, zuletzt »Blitz« und »Sturm«. Thomas sei immer informiert gewesen, habe von einem Kameraden rechtzeitig vorher einen Anruf erhalten, dann sei er wieder aufgebrochen, nachts, ohne sich zu verabschieden.
»Damir?«, fragte Adamek.
»Dietrich, ein Söldner aus Berlin.«
Adamek erinnerte sich – der ganze Abschaum hatte sich auf dem Balkan getummelt, Söldner, Neonazis, Profiteure, Verrückte, Skrupellose, Verbrecher, Größenwahnsinnige, die Waffenhändler der Welt. Kriegstouristen.
Und die Naiven natürlich.
Sie waren ins Haus gegangen, hatten sich in die Küche gesetzt. Milo schüttete Kaffeepulver in einen Filter, stellte Dosenmilch auf den Tisch. Schneider bekam eine Schale Müsli mit Obst, Adamek hatte weder Hunger noch Appetit, sein Magen war unverändert schwer und übersäuert.
Als der Kaffee fertig war, setzte sich Milo zu ihnen. Im Licht sah Adamek die
Weitere Kostenlose Bücher