Der Kalte
Vormittags, dem Wohlbefinden, und Franziska antwortete. Er erhob sich, sagte »Es geht schon«, sie antwortete »Danke Edmund, na ja«, und er ging.
Er hatte sich angewöhnt, bis zur Stadionbrücke zu fahren, auszusteigen, um entlang des Donaukanals – einmal auf der Erdberger, einmal auf der Praterseite – zu Fuß heimzugehen. Immer unterbrach er seine Spaziergänge in einem der jeweiligen Gasthäuser, aß und trank ein Seidel Bier.
Diesmal war er im Hörndl in Erdberg eingekehrt und bestellte Fleischlaberln mit Erdäpfelpüree. Er saß da, hatte die Gaststube im Überblick, so musste es sein. An den Tischen die üblichen Biertippler und Weinbeißer, Bauarbeiter in ihren blauen Overalls, am Stammtisch Kartenspieler, aus dem Radio Werbung und Volksmusik. Fraul holte sich eine Tageszeitung, spannte sie aus, legte sie rechts neben den Teller und las sie beim Essen. Gelegentlich sah er auf. Zu den Kartenspielern hatten sich zwei Kiebitze hinzugesellt, standen den die Karten auf den Tisch kleschenden Spielern im Rücken. Es waren dieselben zwei, welche vorhin hinten am Ecktisch Fressschach gespielt hatten. Fraul sah noch, wie einer der Kartenspieler im Begriff war, von einem Debreziner Würstel abzubeißen, da griff ihm der hinter ihm stehende Kiebitz über die Schulter, riss ihm das Würstel aus dem Maul, führte es mit gierigem Gesicht zu seinem eigenen Mundloch, doch bevor er seinerseits etwas herunterbeißen konnte, ging der zweite Kiebitz auf ihn los. Gleichzeitig schlug der Spieler, der seines Würstels verlustig gegangen war, dem Rückensteher in schnellster Drehbewegung die Faust in den Magen. Gegenseitig begannen nun die sechs Männer, sich Semmeln von den Händen und von den Zähnen zu reißen, Ohrfeigen, Fausthiebe, Blut, Haarbüschel, ein Geknacke, ein Geheul, der Wirt schlug mit einem Stock auf die Wütenden, die sich inzwischen auf dem Boden wälzten und sich zwischen Sessel- und Tischbeinen an den Haaren rissen, spuckten, die Sessel umschmissen, sie im Liegen noch als Waffe benutzten. Von den anderen Tischen sprangen die Bauarbeiter auf, stürzten sich ins Gemenge. Der Gulaschsaft spritzte auf den Fußboden, und einer wälzte einen anderen aus ihm heraus und begann ihn aufzulecken, bis ein dritter dessen Kopf mangels Haaren an den Ohren hochzog, um ihn
mit Wucht auf den Boden zu schlagen, ihn wegzuzerren, um selber den Saft aufzuschlecken. Flüche, laut anschwellend, mit uralten Stimmen ausgestoßen; die Tür sprang auf, und Männer mit Gummiknüppeln hieben kreuz und quer. Der Wirt bekam einen Fußtritt ins Gemächt, ließ seinen Stock fallen und erbrach sich auf der Stelle. Fraul senkte den Blick und las weiter in der Zeitung. Schließlich trank er das Bier aus, rief den Wirt, zahlte und ging. Im Hinausgehen nickte er den Kartenspielern zu. Einer der Kiebitze sah ihn an, als wollte er etwas sagen. Fraul zögerte beim Zurückschauen mit dem Weggehen, etwas Vertrautes stieg in ihm hoch, doch da hatte ihn bereits der Schwung seines Ganges aus dem bisherigen Gesichtsfeld gebracht, und er ging aus der Tür heraus und vom Gasthaus fort. Die Erdberger Lände stromaufwärts, und vor der Weißgerberlände wechselte er zur Flusspromenade hinüber, die Hände in den Manteltaschen, und langsam, im Kopf den Vortrag für heute Abend vorbereitend, näherte er sich seiner Wohnung.
6.
Im oberen Teil der Buchhandlung Sillinger, hinten in einem kleinen dreieckigen Raum mit einem winzigen Fenster in den Lichthof, umgeben von Büchern, welche ständig aus den Regalen zu stürzen drohten, saß Rosa Fraul an einem Miniaturschreibtisch, und die kleine grüne Tür ihr gegenüber war geschlossen. Durch diese konnte sie ins Getriebe der Buchhandlung gelangen, an ihr vorbei verliefen die Kundenströme, mittendurch eilten die anderen Angestellten, schlängelten oder bewegten sich treppabwärts in den unteren Teil, welchen die Leserschaft vom Graben aus betrat.
Wenn Rosa von den Büchermassen umgeben war, beschäftigt mit dem Einordnen der Bestellungen, auch wenn sie diese erst schrieb, wenn sie die Ware auszeichnete oder bloß Kataloge durchblätterte, wenn die grüne Tür geschlossen war, kehrte Ruhe ein in ihren Kopf. Bloß kein Kontakt zu Kunden. Wenig Kontakt zu den Angestellten, dann war es gut. Hugo Sillinger, bei dem sie seit zwanzig Jahren beschäftigt war, respektierte diese Scheu von Anbeginn. Für Wiener Verhältnisse war seine Buchhandlung gut sortiert, sie lag ausgezeichnet inmitten der Fußgängerzone. Also
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