Der Kalte
der Maschinengewehrkompanie war er unerschrocken gewesen, auch seinen weiteren Weg durch die französischen Internierungslager nach Dachau, Auschwitz und Flossenbürg war er mutig und mit für ihn charakteristischer Bärbeißigkeit gegangen. Diese Krankheit aber widerte ihn an. Er musste Windeln tragen, magerte ab, und es ließ ihn keiner sterben.
»Es papperlt mich an, Edmund. Wo bleibt der Kwikwi?«
»Er steht eh schon in der Tür, Bobby.«
»Hoffentlich. Was dem Höß nicht gelungen ist, schafft dieses Viecherl da. Ich werde noch zum Muselmann.«
»Nie, Bobby«, antwortete Fraul heiter. »Bis zum Schluss nicht. Nicht du.«
»Me cago en Dios, Bub.«
Edmund drückte ihm die Hand, denn gleich nach dem Fluch war Heller in eine von diesen flüchtigen Schlummereien geglitten, denen man nicht ansah, wohin sie einen brachten.
Fraul ging zum Kasten, holte seinen Begräbnisanzug hervor und fuhr mit seiner Frau zum Krematorium. Dort war die überlebende alte Garde angetreten: Spaniaken, der KZ -
Verband im Allgemeinen, die Auschwitz-Lagergemeinschaft, die Reste der Kommunistischen Partei mit ihrem Nekrologredner, denn im Gegensatz zu Fraul war Heller nie aus der KPÖ ausgetreten. Die Menschen begrüßten einander, nickten nach links und nach rechts den hierauf rechts und links Zurücknickenden zu und schwiegen. Sie trafen einander hier häufig. Wenigstens ein Mal im Monat verabschiedete sich einer von ihnen – in den Wintermonaten gleich mehrere, gelegentlich sogar zwei an einem Tag.
Der Nekrologredner Heini Hochnosterer, ein drahtiger Mittsiebziger, selbst in Spanien und in den Lagern gewesen, schien aus dem Hinscheiden der Genossen zusätzlich Lebenskraft zu beziehen; von Verbrennung zu Verbrennung verjüngte er sich, ein heimlicher Triumph restlichen Überlebens füllte seine Brust, und das so angereicherte Blut verlieh ihm anscheinend die muskeldurchsetzte Befedertheit, mit der er vor die alte Garde trat.
Edmund und Rosa saßen mittendrin in den Bankreihen, denn obwohl sie mit Bobby und seiner Frau eng befreundet waren, ergab das Zeremoniell, dass der allerengste Freund die Partei war. Deren Funktionäre flankierten die Witwe, leiteten und lenkten die ersten Schritte des Gedenkens an Robert Heller. Während Hochnosterer redete, fuhren Edmunds Gedanken weg. Sie sickerten zurück in die Schuschniggzeit und holten von dort die Bilder vom jungen Bobby in die Feuerhalle.
Dass ich nichts empfinde. Wie wichtig war er mir. Mit ihm nach Spanien, ich noch nicht achtzehn. Wie mein Bruder, mein Freund, immer der Bobby. Nun ist er halt fort, da vorn im Holztaxi. Was redet der Hochnosterer von Guadalajara? Zu Guadalajara sind wir zu spät gekommen, du Depp. Das Hin und Her vor Teruel. Tagsüber eingekesselt,
nachts durchgebrochen, immer wieder. Und der Brauneis Ferdl zwischen den Linien im Schnee, wir anderthalb Tage nicht an ihn heran. Er hat gesungen und gesungen und geflucht, und auch die Internationale. »Bub, ich bin anpapperlt«, sagt Bobby. »Nicht die Faschisten, nicht der Kwikwi, ich hole ihn.« Im Kugelhagel bringt er ihn buckelkraxen. Dem Ferdl seine Beine sind blau und verloren. Der Radrennfahrer sitzt ohne Beine bis heute im Sessel, und nicht einmal Bobby brachte ihn zum Lachen in seiner Gemeindebauwohnung. Wenn ich mit Bobby in den Reumannhof mitkam, musste ich mitsaufen, Fotos anschauen von seinen Rennen. Wieso Brauneis, mir fällt ständig der Ferdl ein, wo ich mich doch von Bobby verabschiede.
»Du denkst an den Ferdl«, flüsterte Rosa.
»Das stimmt.«
Sie standen auf und gingen. Vorm Eingang blieben die Menschen noch in Gruppen. Edmund und Rosa gingen grüßend um sie herum und zum Einundsiebziger.
»Karel ist nicht gekommen«, murmelte Fraul, während sie auf die Tramway warteten.
»Er kommt doch nie«, sagte Rosa. Fraul hob die Schultern und ließ sie fallen. Bis vor kurzem war Bobby Heller für Fraul junior immer der Onkel Bobby gewesen.
»Onkel Bobby«, schnaubte Edmund.
»Ach, lass ihn«, sagte sie. Die Straßenbahn kam.
4.
Einst war alles anders. Einst begannen Wälder zu gehen, Hundstruppen reinigten den Erdboden von stinkenden Kriegern. Zwerge verbargen sich hinter Mauervorsprüngen der Burgen, Elfen oder Hexen badeten mondbeglänzt
im Weiher. Fanfarenstöße tagsüber, Liebestränke in der Dämmerung, der Dolch in der Nacht.
Eine ehrgeizige Frau, einst, und ihr Kind als Ehemann verkleidet. Was für eine Lust, jemanden von den Füßen zu holen, ihn auf den Rücken zu werfen, ins
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