Der Kampf mit dem Dämon
Maße freier, als die logische Bindung im Geistigen sich lockert: schließlich kann der Dichter den mächtig aus sich aufschwellenden Schwall nicht mehr dämmen und wird von ihm überflutet, als seine eigene Leiche schwimmt er hin auf den rasenden Wassern des Gesangs. Diese Entwicklung zur Freiheit, dieses Sich-Losreißen, Sich-Selbstherrlichmachen des Rhythmus (auf Kosten der Bindung und geistigen Ordnung) geht im Hölderlinschen Gedichte ganzallmählich vor sich: zuerst hat er den Reim, die klirrende Fußkette von sich gestoßen, dann das über die breitatmende Brust zu enge Kleid der Strophe gesprengt; antikisch nackt lebt nun das Gedicht seine körperhafte Schönheit aus und eilt wie ein griechischer Läufer dem Unendlichen entgegen. Alle gebundenen Formen werden dem Inspirierten allmählich zu enge, alle Tiefen zu seicht, alle Worte zu dumpf, alle Rhythmen zu schwertönig – die ursprünglichste klassische Regelmäßigkeit des lyrischen Baues überwölbt sich und bricht, der Gedanke schwillt immer dunkler, mächtiger, gewitterhafter aus Bildern empor, immer tiefer und voller wird gleichzeitig das rhythmische Atemholen, großartig kühne Inversionen binden oft ganze Strophenreihen in einen Satz zusammen – aus den Gedichten werden Gesänge , hymnischer Anruf, prophetische Schau, heroisches Manifest. Die Mythisierung der Welt hat für Hölderlin begonnen, das Alldichtungwerden des ganzen Seins. Europa, Asien, Germanien, traumhafte Landschaften des Geistes dämmern wie Wolken heran aus einer ganz unwahrhaftigen Ferne, magische Zusammenhänge verschwistern in erschütternden Improvisationen Fern und Nah, Traum und Erlebnis. »Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt« – Novalis' Wort von der letzten Auflösung des Dichters erfüllt sich nun für Hölderlin. Überwunden ist die persönliche Sphäre. »Liebeslieder sind müder Flug«, schreibt er in jenen Tagen, »ein anderes ist das hohe und reine Frohlocken vaterländischer Gesänge«: so bricht ein neues Pathos sich aus der überfließenden Empfindung vulkanisch Bahn. Der Überlauf ins Mystische beginnt: Zeit und Raum sind versunken in purpurner Finsternis, Vernunft ist vollkommen der Inspiration geopfert, es sind keine Gedichte mehr, sondern »dichtendes Gebet«, durchflackert von Blitzen und umhüllt von pythischen Dämpfen: aus der jünglinghaften Begeisterung des beginnenden Hölderlin ist dämonische Trunkenheit geworden, heiliges Rasen. Etwas merkwürdig Wegloses geht durch diese großen Gedichte: sie fahren steuerlos in ein unendliches Meer, niemandem gehorchend als dem Gebot des Elements, dem Tönen von jenseits her, jedes einzelne ein »bateau ivre«, das mit zerbrochenem Ruder den Katarakt singend hinabschießt. Am Ende ist schließlich Hölderlins Rhythmus so weit auseinandergespannt, daß er zerreißt, die Sprache so verdichtet und gesättigt, daß sie sinnlos wird, nur noch »Tönen aus demprophetischen Haine Dodonas« – der Rhythmus vergewaltigt die Idee, er wird »wie der Weingott törig göttlich und gesetzlos«. Der Dichter und das Gedicht, beide vergehen im höchsten Übermaß, in der äußersten Ergießung der Kräfte ins Unendliche. Hölderlins Geist vergeht, verweht spurlos im Gedicht, und der Geist des Gedichtes wiederum verlischt in chaotischer Dämmerung. Alles Irdische, alles Persönliche, alles Formhafte wird aufgezehrt in dieser vollkommensten Selbstvernichtung: ganz wesenlos, ganz nur orphische Musik wehen seine letzten Worte in den heimatlichen Äther zurück.
Sturz ins Unendliche
Was Eines ist, zerbricht, Empedokles,
So gehet festlich hinab
Das Gestirn. Und trunken
Von seinem Lichte glänzen die Täler.
Als Dreißigjähriger tritt Hölderlin über die Schwelle des Jahrhunderts; gewaltigstes Werk haben die letzten leidvollen Jahre in ihm vollendet. Die lyrische Form ist gefunden, der heroische Rhythmus des großen Gesanges geschaffen, die eigene Jugend in Hyperions Träumergestalt, die Tragödie des Geistes im »Tod des Empedokles« verewigt. Nie war er höher angestiegen und nie näher dem Untergang. Denn die Welle, die ihn mächtigen Schwunges hochauf über das Maß des Lebens getragen, schon bäumt sie sich zu zerschmetterndem Sturz. Und er selbst fühlt mit prophetischer Ahnung die nahe Neige, er weiß:
Es ziehet wider Willen ihn von
Klippe zu Klippe, den Steuerlosen,
Das wunderbare Sehnen dem Abgrund zu.
Denn es hilft nichts, so hohes Werk geschaffen zu haben: nur Unverständnis erntet er, wo er Liebe
ersehnt, denn
es
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