Rolf Torring 001 - Das Gespenst
1. Kapitel Der Gorilla-Mann
Rolf Torring legte leicht die Hand auf meinen Arm, ich zuckte zusammen und blickte ihn fast erschreckt an, denn der Ton, der hinter uns im Urwald eben aufgeklungen, war grauenhaft gewesen. Noch nie hatte ich Derartiges vernommen, obwohl ich nun schon manches Jahr mit meinem Freund die Welt durchstreift hatte. „Rolf, was war das?" fragte ich leise, „ich kenne kein Tier, das so furchtbar schreit."
„Wären wir in Afrika", gab er ebenso leise zurück, „dann würde ich sagen, es war ein Gorilla. Ich habe zweimal im belgischen Kongo das Gebrüll dieser riesigen Affen gehört. Aber hier auf Sumatra leben als größte Affen nur die Orangs, die nie einen derartigen Schrei ausstoßen können. Ich weiß selbst nicht, was es gewesen sein kann!" „Ein wütender Elefant war es auch nicht", meinte ich, „der Trompetenton eines Bullen ist nicht zu verkennen. Dieser Schrei hatte etwas Unmenschliches und gleichzeitig etwas Untierisches."
„Ja, Hans, das war richtig ausgedrückt, unmenschlich und untierisch. Schade, daß wir nicht hinkönnen, denn sonst entgeht uns der schwarze Panther, der bald kommen muß. Auch bricht die Nacht bald herein, und es wäre dunkel, ehe wir so weit in den Wald eingedrungen wären, denn der Schrei war gut 500 m entfernt."
„Wenn nur nicht der schwarze Panther auch durch dieses grauenhafte Gebrüll verscheucht ist", sagte ich ärgerlich, „dann können wir uns morgen wieder den Moskitos hier aussetzen."
„Na", meinte Rolf mit leisem Lachen, „Moskitos sind wir ja im Laufe der Jahre gewöhnt geworden. Oder hast du schon die Stunden am Tanganjika-See vergessen?" Ich schauderte bei dieser Erinnerung zusammen. Nein, diese Stunden würde ich nie vergessen. Von afrikanischen Buschkleppern waren wir nackt und gefesselt als wehrlose Beute der blutgierigen Moskitos in das Schilf des Sees gelegt worden. Als der Banda-Neger Kimbo, unser treuer Diener, den wir später durch den heimtückischen Giftpfeil des Buschmannes verloren, uns endlich fand, sahen wir schon nicht mehr wie Menschen aus. Ich mußte unwillkürlich lächeln, als ich Rolf jetzt von der Seite anblickte. Sein kühnes, schmales Gesicht sah damals wie ein zum Platzen bereiter Bratapfel aus; seine grauen Augen, die so drohend, aber auch so gut blicken konnten, waren damals fast verschwunden, und seine sonst so schmalen Lippen mochten den Neid Kimbos erregen, der stets auf seine außerordentlich ausgeprägten Wulstlippen stolz war. Er schien meine Gedanken zu erraten, denn er lächelte und flüsterte:
„Lieber Hans, du sahst damals auch nicht sehr verführerisch aus. Aber still, ein Wild kommt!" Rolf war in jeder Beziehung ein vollkommener Mensch, daß ich ihn stets im Innern bewunderte und auch ganz leise beneidete. So hatte auch jetzt sein scharfes Ohr das Knacken irgendeines Zweiges gehört, das mir vollkommen entgangen war. Aber nach wenigen Minuten, die wir in äußerster Spannung, die Büchsen schußbereit, gewartet hatten, schob sich plötzlich ein großer Tapir auf die kleine Lichtung, die wir durch das schützende Bambusgebüsch vor uns überblicken konnten.
Wir hielten fast den Atem an, wußten wir doch, daß gerade der Tapir das beliebteste Wild für den schwarzen Panther ist. Befand sich also das erwartete Raubtier in der Nähe, dann konnten wir jede Sekunde mit seinem Angriff auf den „Saladang", wie die Malaien den Schabrackentapir nennen, rechnen.
Der wohl zwei Meter große Tapir schritt langsam und bedächtig über die Lichtung; er hielt den Kopf zur Erde gesenkt, nahm hier eine abgefallene Baumfrucht auf, pflückte dort ein zartes Blatt ab und benahm sich ganz so, als hätte er nicht die geringste Gefahr zu befürchten. Aber der ständig hin- und hergehende Rüssel und die spielenden Ohren zeugten von der ununterbrochenen Wachsamkeit des plumpen Burschen.
Wir wußten wohl, daß er beim geringsten Anzeichen einer Gefahr blitzschnell, den Kopf tief zur Erde hinab gebeugt, ins nächste Gebüsch stürzen würde. Wieder berührte Rolfs Hand leise meinen Arm. Dann deutete er mit dem Kopf nach einem riesigen Tamarindenbaum hinüber, der uns gegenüber am anderen Ende der Lichtung stand.
Langsam ließ ich meine Augen an dem mächtigen Stamm empor gleiten. Und da sah ich auf einem der unteren Äste einen riesigen Sundapanther. Es war ein „Matjang tutul itum", wie ihn der Malaie bezeichnet, die schwarze Spielart. Fast vergaß ich über dem Beobachten den Zweck unseres Hierseins, nämlich das
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