Der Kandidat [microform] : Komödie in vier Aufzügen nach Flaubert
Galerie herab:
Was halten Sie von den Maikäfern?
Großes Gelächter.
PRÄSIDENT: Ruhe, meine Herren, Haltung!
HEPPNER: Wir wollen etwas über die Steuern hören, Herr Russek.
RUSSEK:
Steuern, mein Gott, sind sicher peinlich, aber unerläß-lich. Sie sind, wenn ich mich so ausdrücken darf, wie eine Pumpe, die aus dem Mutterschoß der Erde frucht-bringendes Element heraufsaugt, um es auf die Ober-fläche auszuschütten. Bleibt zu entscheiden, ob die Mittel dem Ziel entsprechen, und ob die Quelle nicht über-lastet wird.
PRÄSIDENT:
Ein ausgezeichneter Vergleich!
SCHÄFER: Grund und Boden sind überlastet.
HÜTHER: Die Flotte frißt uns auf.
GISTL: Und das Heer vor allem!
MEHRERE: Ja, das Heer!
RUSSEK:
Sicher, da sind enorme Sparmöglichkeiten.
ALLE:
Sehr gut! Bravo!
RUSSEK:
Anstatt dorthin kritiklos mit vollen Händen zu geben, sollte die Regierung ...
HEPPNER: Den Handel beschützen!
BLATTGOLD: Die Industrie begünstigen!
EIN BAUER: Die Landwirtschaft ermutigen!
HUTHER: Sicher.
RUSSEK:
Aber die Landesverteidigung darf darunter nicht im ge-ringsten leiden.
RUSSEK:
Sicher nicht.
GISTL:
Und das Fuhrsresen?
yd DER DRITTE AUFZUG
RUSSEK:
Auch das nicht. Erlauben Sie mir jetzt, in einem Gc-samtbegrifF...
HUTHER:
Das kennt man, GesamtbegrifF! Das geschieht, um Fragen über Einzelheiten zu entgehen, um die Wähler mit ein paar Phrasen herumzubekommen. Stünde Seidenschnur hier . . .
RUSSEK:
Sic vergleichen mich mit Seidenschnur? Mich, der durch vierzig Jahre, dessen völkisches Gefühl . . .
HUTHER: ^
Ja, ich vergleiche Sie mit Seidenschnur.
RUSSEK: Diesem Dorfcatilina?
UHL von der Galerie herunter: Was ist das: Catilina?
RUSSEK: War der Anstifter einer Verschwörung in Rom.
HUTHER: Aber Seidenschnur stiftet nichts an.
BLATTGOLD: Sind Sie vielleicht Polizeispitzel?
GENDARM: Die Polizei bleibt aus dem Spiel!
WÄHLER: Ein Spitzel! Ja, ja!
DER DRITTE AUFZUG JJ
ANDERE WÄHLER: Nein, nein!
Lärm.
RUSSEK:
Mitbürger, Wahler, hört mich an . . . Ich flehe . . . Hören Sie doch!
HEPPNER: Wir hören.
RUSSEK Villi sprechen^ bringt aber keinen Ton hervor.
Gelächter,
GENDARM: Ruhe!
BLATTGOLD:
Er soll über Arbeit sprechen.
RUSSEK: Natürlich soll man arbeiten.
BLATTGOLD: Und Arbeit geben.
HEPPNER: Wenn aber nichtis gebraucht wird ?
RUSSEK: Egal.
HEPPNER:
Damit greifen Sie den Besitz an.
RUSSEK: Und wenn schon.
HEPPNER stürzty außer sichy zu Russek auf das Podium: Herr, ich verÜerc meine Beherrschung!
WÄHLER DER LINKEN : Herunter!
WÄHLER DER RECHTEN: Er soll bleiben!
RUSSEK:
Ja, er soll bleiben, soll mich angreifen. Ich schlage mein Leben in die Schanze und bin trotzdem fiir Freiheit!
PRÄSIDENT schwingt die Glocke: Das ist unerhört!
GENDARM: Ich lasse den Saal räumen.
RUSSEK bemerkt den eintretenden Grübet: Grübel! Gott sei Dank.
HUTHER:
Der Kandidat äußere sich über die Zustimmung, die er in meiner Gegenwart den Ansichten des Grafen Rheydt gezollt.
ALLE WÄHLER: Hört, hört!
RUSSEK stotternd: Aber . . . ich . . . ich . . .
HUTHER stark: Er ist verloren.
BLATTGOLD: Schmeißt ihm den Rettungsgürtel zu!
SCHÄFER: Einen Arzt!
Großes Gelächter,
DER DRITTE AUFZUG J^
GRÜBEL:
Aber meine Herren, ich war auch dabei; unser verehrter Herr Russek hat sich scheinbar den Ideen des Grafen willPährig gezeigt. Er leugnet es gar nicht, ist stolz daraufl
RUSSEK: Und wie!
GRÜBEL:
Eine parlamentarische Taktik, eine geniale List, um die Ansichten und Absichten des Grafen herauszukriegen.
SCHÄFER: So ein Schlaukopf!
RUSSEK:
Um die obskuren Pläne dieses Aristokraten, der die Bourgeoisie verachtet, aufzudecken. Aber Goethe und Schiller waren Bürger.
UHL: Geadelte.
HUTHER: Verteidigen Sic sich doch nicht mehr!
EIN WÄHLER tritt breit vor Russek: Und das Volk?
RUSSEK stark: Das Volk - das Volk ist groß!
Er schnappty wie vorher, mit der Stimme über.
UHL von der Galerie herunter: Er ist übergeschnappt!
Allgemeines stürmisches Gelächter,
RUFE: Genug! Schluß der Sitzung!
Alles steht auf und wendet sich dem Ausgang zu.
RUSSEK wendet sich verzweifelt zum Präsidenten: Herr Präsident . . .
PRÄSIDENT: Eine ungünstige Sitzung, lieber Herr. Wirklich.
Exit.
RUSSEK zu Heppner: Aber Herr Heppner!
HEPPNER:
Ja, wie kann man mit Ihren Ansichten!
Exit,
Alle exeunt,
EIN KELLNER löscht das Licht bis auf eine Flamme über
Russeks Stuhl.
RUSSEK: Wo ist Grübel? Alles, alles verläßt mich.
Er sinkt in den Stuhl: O mein Gott, wie ich leide!
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