Der Kapuzenmörder
erschienen, viele längst tot, verstrickt in schrecklichem Verrat oder tückischen Morden zum Opfer gefallen. Corbett dachte an die zunehmende Reizbarkeit des Königs und an seine gefährlichen Stimmungsschwankungen, und er fragte sich, wie lange er wohl noch im königlichen Dienst stehen würde. »Ich habe genug Gold«, murmelte er bei sich. »Und den Landsitz in Essex.« Er schüttelte den Kopf. »Der König wird mich nicht gehen lassen, aber wie lange wird der König noch da sein?« Corbett starrte zu Boden, ließ die Flöte durch die Finger gleiten und freute sich an dem Gefühl des polierten Holzes. »Es ist Verrat«, flüsterte er, »an den Tod eines Königs auch nur zu denken.« Aber der König war weit über das sechzigste Jahr hinaus, und wenn er starb, was kam dann? Der goldgelockte Prinz von Wales war von ganz anderem Holz mit seiner Liebe zur Jagd, zu hübschen jungen Männern und zu den Freuden von Bett und Tisch.
Wenn der alte König tot ist, überlegte Corbett, was wird dann sein Nachfolger tun? Würde der neue König ihn auch brauchen, oder würde man ihn ablösen? Was würde Maeve sagen? Bei dem Gedanken an seine Frau erinnerte er sich an das, was der König über de Craon gesagt hatte.
»Was der rothaarige, fuchsgesichtige Bastard wohl will?« murmelte Corbett. Er stand von der Bettkante auf und trat an den von Pergamenten überhäuften Tisch. Zwei Blätter fielen ihm besonders ins Auge. Das eine war ein schmutziges, abgegriffenes Stück Velin, und die Schrift darauf bestand aus einer Mischung aus Zahlen und merkwürdigen Zeichen; es war die Geheimschrift, die sein Spitzel in Paris benutzte. Daneben, säuberlich mit grünblauer Tinte geschrieben, lag die Übersetzung des Codes, die einer der Schreiber des Geheimsiegels angefertigt hatte. Corbett nahm sie zur Hand, überflog sie rasch und fluchte. Er hatte dem König davon berichten wollen. Der Spitzel, vorgeblich ein englischer Kaufmann, der auf dem Pariser Markt Wein einhandelte, war dem englischen Flüchtling und Verbrecher Richard Puddlicott in einer Schenke vor den Toren des Louvre-Palastes begegnet; Puddlicott war mit William Nogaret zusammengewesen, dem obersten Geheimagenten Philipps IV. Er wurde in England gesucht, als Dieb und als Mörder, der einen königlichen Kurier umgebracht hatte — aber vor allem war er ein Hochstapler. Niemand besaß eine genaue Beschreibung Puddlicotts, doch mit seinen Betrügereien hatte er manch einen Kaufmann um den Profit gebracht. Er hatte als Schreiber in Cambridge gearbeitet, verwandte aber inzwischen seinen beträchtlichen Witz und Verstand darauf, anderen Leuten ihren schwer verdienten Reichtum abzuknöpfen, und tauchte immer wieder mit seinen Gaunereien in England oder in Frankreich auf. Keinem Gesetzeshüter war es gelungen, ihn zu fassen und zur Strek-ke zu bringen. Corbetts Spitzel in Paris hatte ihn als blonden Mann mit roten Wangen beschrieben, der leicht hinkte. Aber der Seneschall des Königs in Bordeaux hatte Puddlicott als schwarzhaarig geschildert, von gelblicher Hautfarbe und gesund an Leib und Gliedern.
Corbett las den Brief noch einmal. Der Spitzel hatte lediglich gesehen, daß der Geheimagent mit Puddlicott gesprochen hatte, aber er konnte nicht sagen, worüber; allerdings hatte Nogaret einen freundlichen und aufmerksamen Eindruck gemacht.
»Ich hätte es dem König sagen müssen!« wiederholte Corbett. Er ging mit den Dokumenten zur Tür und rief nach einem Schreiber, der sie sofort zum König bringen sollte.
Danach schaute Corbett sich in dem unordentlichen Zimmer um. Seine vorherige Erregung hatte sich gelegt, und jetzt, dachte er, machte er sich am besten gleich auf den Weg.
»Früh begonnen, früh gewonnen«, murmelte er. »Wo ist denn nun der ehrliche Ranulf?«
Corbetts Diener, der ehrliche Ranulf, hockte in einer Ecke des Palastes mit einigen Gardesoldaten des königlichen Gefolges und verleitete sie langsam, aber sicher, zu einem Würfelspiel. Der rothaarige, blasse Diener blickte feierlich in die Runde; seine grünen Katzenaugen waren ernst und stetig. »Ich habe wenig Geschick für das Würfelspiel«, behauptete er. Die Soldaten grinsten, denn sie glaubten, sie hätten hier einen Gimpel gefunden. Ranulf klimperte mit der Börse.
»Ich habe ein bißchen Silber«, sagte er, »und mein Kamerad hier auch.« Er deutete auf Corbetts Pferdeknecht und Stallburschen, den blonden, mondgesichtigen Maltote, der wie ein unschuldiger Ackerknecht neben ihm hockte. Maltote lächelte die
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