Der Kapuzenmörder
hinunter zur St. Martin’s Lane und dann durch schmale Gassen, die sie nach Grey Friars bringen würden. Sie blieb an einer Kreuzung stehen, wo der Bezirksbüttel auf einem Schemel das Diebesgut eines Einbrechers aufgetürmt hatte, der jetzt auf dem Weg zum Schafott in Tyburn war. Mehrere Leute erhoben Anspruch auf dieselben Gegenstände, und es entbrannte ein heftiger Streit, der allen den Weg versperrte. Agnes hatte nicht die Kraft, sich hindurchzudrängen. Neben ihr stand ein Straßenhändler mit einem kleinen Handkarren voll Brot, Käse und gekochten Aalen. Agnes’ Hand näherte sich dem Wagen; sie mußte essen, sie brauchte etwas zu beißen. Plötzlich warf ein kleiner Gassenjunge eine tote, aufgedunsene Kröte auf den Karren. Der Straßenhändler packte sie und schleuderte sie schimpfend und schreiend zurück, und Agnes nutzte die Gelegenheit. Sie ergriff ein kleines, hartes Roggenbrot und ein Stück Käse; dann sah sie eine Lücke im Gedränge, schlüpfte hindurch und verschwand in einer engen, stinkenden Gasse. Noch einmal bog sie links ab und sah vor sich die kleine Kirche. Agnes hatte den Mund voll Brot und Käse, aber sie hätte vor Freude aufschreien können. Sie war da, sie war in Sicherheit. Eilends lief sie die bröckelnden Stufen hinauf und drängte sich durch die dunkle Tür. Die Botschaft, die man ihr unter die Kammertür geschoben hatte, war ganz kurz gewesen: Sie sollte vor dem Angelusläuten in die Kirche kommen und dort warten.
Am Fuße einer Säule hockte sie sich nieder und stopfte den Rest Brot und Käse in den Mund; langsam kaute sie den letzten Bissen. Sie fühlte sich gekräftigt, aber — oh — so müde. Ihre Augen wollten sich schließen, als sie die Flüsterstimme hörte.
»Agnes! Agnes!«
Das Mädchen stand auf und spähte in die Dunkelheit.
»Wo seid Ihr?« rief sie.
Keine Antwort. Sie bekam Angst und drückte sich rückwärts an die Säule. Wenn sie dort bliebe, dachte sie, wäre sie wohl sicher.
»Bitte!« rief sie. »Was ist denn?«
Sie schob sich um die Säule herum und hatte das Gesicht zur Seite gedreht und den Hals entblößt — so verwundbar. Der Mörder auf der anderen Seite der Säule tötete Agnes Red-heard mit einem einzigen Streich seines Messers. Agnes riß die Augen weit auf und blickte starr und entsetzt, als sie auf den harten Steinboden fiel, während der Mörder eine Wachspuppe zu einer Kugel zusammenquetschte und sie in seinen weiten Ärmel schob. Ein paar Augenblicke stand die Gestalt noch über dem Leichnam des Mädchens.
»Lebe wohl, Agnes«, wisperte die Stimme. »Du magst mich gesehen haben, aber wußtest du denn nicht, daß ich dich auch bemerkt habe?«
Corbett und Ranulf verließen Winchester am Morgen nach Maltotes Abreise. Der König selbst kam in den Außenhof herunter, um sich zu verabschieden, und eine Zeitlang blieb er noch stehen, um mit Corbett über ein paar unbedeutende Angelegenheiten zu plaudern. Dann packte er das Zaumzeug, trat dicht an das Pferd heran und starrte zu Corbett hinauf. »Ihr werdet Euch darum kümmern, Hugh. Ihr werdet diesem Morden ein Ende machen.«
»Ich werde mein Bestes tun, Euer Gnaden.«
»Die Sache mit Puddlicott...«, murmelte der König.
»Der Kerl ist ein Gauner, und eines Tages wird er hängen.«
»So einfach ist es nicht.« Der König klopfte dem Pferd den Hals. »Wenn er die Freundschaft Master Nogarets besitzt, so wird Puddlicott demnächst eine bedeutende Rolle in unserer Politik spielen. Aber« — er lächelte schmal — »das werden wir sehen, wenn es soweit ist.« Dann ließ er das Zaumzeug los und trat zurück. »Richtet Lady Maeve und der kleinen Eleanor meine Grüße aus. Und haltet mich auf dem laufenden. Ich werde noch eine Weile hier in Winchester bleiben, und danach geht es in den Norden, nach Hereford.«
Corbett nickte, gab seinem Pferd einen Klaps und ritt, gefolgt von Ranulf, der das Packpferd führte, auf dem schmalen Pflasterweg zum Schloß hinaus und in die Stadt hinunter. Keine Stunde später, die Glocken von Winchester läuteten gerade zur Prim, ließen sie das Stadttor hinter sich und folgten den gewundenen Landwegen ostwärts zur alten Römerstraße. Der Himmel war wolkenlos, und als die Sonne höherstieg, ließ Corbett sein Pferd langsamer gehen und genoß den warmen, süßen Duft der Landluft. Die Bauern waren draußen und arbeiteten auf ihren Äckern, und auf den Wiesen weideten Rinder und Schafe und bewegten sich träge durch das satte, grüne Gras, das von
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