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Der Kapuzenmörder

Der Kapuzenmörder

Titel: Der Kapuzenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul C. Doherty
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in den weichen, heißen Leib stieß. Dann zog die Gestalt die Nadel wieder heraus und schnitt der Wachsfigur säuberlich den Hals durch.

    In ihrer kleinen Kammer über dem Laden eines Tuchwarenhändlers in der Cock Lane saß Agnes Redheard und hatte schreckliche Angst. Sie wagte nicht, auszugehen. Seit Tagen hatte sie nichts mehr zu essen gekauft, und ohne Kundschaft war ihr Vorrat an Pennies winzig. Sie hatte Hunger und Durst und war so einsam, daß sie ihren Körper umsonst hergegeben hätte — nur für den Trost, daß jemand mit ihr redete oder ihrem Geplapper zuhörte. Aber jetzt kleidete sich das Mädchen fieberhaft an, denn sie glaubte, ihre Rettung stünde bevor. Sie zog den leuchtend roten Kittel über ihren üppigen Körper, verknotete die Lederriemen ihrer Holzpantinen und kämmte sich das zerzauste rote Haar mit einem Kamm, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Dann schaute sie sich in der Dachstube um.
    »Gott!« wisperte sie. »Wie gern wäre ich aus dieser Kammer befreit!«
    Das Zimmer war ihr zum Gefängnis geworden, seit sie in jener Nacht durch die düsteren Gassen gehuscht war und gehofft hatte, ihre Freundin Isabeau werde sie auf dem Fußboden schlafen lassen. Agnes Redheard hatte den Bäcker verflucht, der sie nicht etwa mit nach Hause genommen, sondern sie in einer dunklen Ecke der Straße roh benutzt hatte; danach hatte er nur die Hälfte des Versprochenen gezahlt, sie mit Flüchen verjagt und ihr gedroht, die Wache zu rufen.
    Agnes war durch die Old Jewry gekommen und stehengeblieben, als eine verhüllte Gestalt aus dem Haus geschlüpft: war, in dem Isabeau wohnte. Erst hatte sie es merkwürdig gefunden, aber dann hatte sie vom dunklen Ladeneingang aus einen Blick auf das Gesicht erhaschen können; sie hatte gelächelt und war eilig die Treppe hinaufgestiegen, um Isabeau zu necken. Aber sie war erst halb oben gewesen, als sie auf dem Blut ausrutschte, das aus der durchgeschnittenen Kehle ihrer Freundin die Treppe herunterrann. Sie hatte geschrien und geschrien und die ganze Straße geweckt. Aber dann hatte Agnes den Mund gehalten. Sie hatte das Gesicht gesehen, doch sie konnte nicht glauben, daß eine so heilige Persönlichkeit eine so obszöne Tat begehen konnte. Sie hatte eine Feder und ein Stück Pergament gekauft und eine dringende Nachricht nach Westminster geschickt. Jetzt hatte ihr die wohltätige Person geantwortet und sie aufgefordert, in die kleine Kapelle bei Grey Friars zu kommen.
    Agnes raffte ihren verschlissenen Mantel und eilte die Treppe hinunter. Draußen grinste und winkte der Straßenbengel mit dem schmutzigen Gesicht, dem sie einen Penny dafür gab, daß er ihre Haustür bewachte.
    »Keine Fremden, Mistress!« rief er.
    Agnes lächelte, und der Junge wunderte sich, denn die Hure hatte ihr Gesicht nicht geschminkt. Er verstand auch nicht, weshalb sie sich in ihrer Kammer versteckte und ihm Geld dafür gab, daß er sie vor Fremden warnte, die sich dem Haus näherten. Er sah ihr nach, dann hustete er und spuckte aus. Was immer da nicht stimmen mochte, er hoffte nur, Agnes Redheard würde nicht herausfinden, daß er ihre Nachricht gar nicht nach Westminster gebracht hatte. Er hatte das Papier einfach irgendwo in die Gosse geworfen und den Penny, den sie ihm gegeben hatte, für einen Korb kandierte Pflaumen ausgegeben.
    Agnes eilte unterdessen durch die Straßen, vorbei an weißäugigen Bettlern, die um Almosen winselten, und einem Krüppel auf zwei Holzbrettern, der schrie, er habe in Smithfield den Teufel gesehen — aber niemand hörte ihm zu. Unter den überhängenden Stockwerken der großen Häuser waren die Läden geöffnet, und in Leder gekleidete Lehrjungen boten lautstark ihr heißes Hammelfleisch, würziges Rind und weiches Brot zum Kauf an. Agnes roch die leckeren Düfte, die aus den Garküchen wehten, und ihr Magen zog sich vor Hunger zusammen. Einmal wurde ihr so schwindlig, daß sie stehenbleiben und sich an einen Türrahmen lehnen mußte; sie schaute zu, wie ein altes Weib an der Ecke eines Hausgangs die Röcke hochraffte und sich niederhockte, um zu pinkeln. Die Alte sah, daß Agnes sie beobachtete, und lachte gackernd, wobei sie rotes Zahnfleisch und gelbe, verfaulte Zähne zeigte. Agnes schaute hastig weg, ballte die Fäuste und lief weiter. Sie folgte dem Verlauf des Stadtgrabens, in dem Müll und Abfall schwammen; die Kadaver von Katzen und Hunden faulten zusehends in der starken Sommersonne. Sie wandte sich nach rechts und lief die Aldersgate Street

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