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Der Kardinal im Kreml

Der Kardinal im Kreml

Titel: Der Kardinal im Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clancy Tom
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wußte er nicht einmal, was überhaupt gegeben worden war. Er entsann sich noch, den Rest der Vorstellung unruhig abgesessen und sich seinen nächsten
Schritt überlegt zu haben. Leutnant Filitow galt bereits als vielversprechender junger Mann, ein brillanter Panzeroffizier, dem Stalins brutale Säuberungen Chancen und rasche Beförderung gebracht hatten. Er verfaßte Artikel über Panzertaktik, übte innovative Gefechtsübungen im Feld und argumentierte vernehmlich gegen die falschen ›Lehren‹ aus dem spanischen Bürgerkrieg.
    Und was soll ich jetzt tun? hatte er sich gefragt. Wie man die Bekanntschaft einer Künstlerin machte, hatte man ihm bei der Roten Armee nicht beigebracht. Dies war kein Mädchen vom Land, das sich aus Langeweile jedem auf der Kolchose hingab – und besonders einem jungen Offizier des Heeres, der sie aus der Ödnis herausholen mochte. Mischa erinnerte sich beschämt an seine Jugend; damals hatte er mit seinen Schulterklappen jedes Mädchen ins Bett gelockt, das ihm unter die Augen gekommen war.
    Ich weiß noch nicht einmal, wie sie heißt, hatte er sich gesagt. Was soll ich tun? Am Ende hatte er die Sache angepackt wie ein militärisches Unternehmen. Gleich nach Ende der Vorstellung hatte er sich zur Toilette durchgekämpft und sich Gesicht und Hände gewaschen. Schmutz unter den Fingernägeln wurde mit dem Taschenmesser entfernt, das kurze Haar angefeuchtet und glattgekämmt, die Uniform glattgezogen und von Fusseln befreit. Am Ende war er vom Spiegel zurückgetreten, um sich davon zu überzeugen, daß seine Stiefel so auf Hochglanz waren, wie es sich für einen Soldaten gehörte. Damals war ihm aufgefallen, daß andere Männer in der Toilette ihn mit unterdrücktem Grinsen musterten, geahnt hatten, was der Zweck des Ganzen war, und ihm mit einem bißchen Neid Glück wünschten. Mit seiner Erscheinung zufrieden, hatte Mischa das Theater verlassen und sich beim Portier nach dem Bühneneingang erkundigt. Das hatte ihn einen Rubel gekostet; und bald darauf war er auf einen zweiten Türsteher gestoßen, einen bärtigen alten Mann, der Ordensbänder für Verdienste in der Revolution am langen Mantel trug. Mischa hatte sich von dem Kameraden besonderes Entgegenkommen erwartet, mußte aber feststellen, daß dieser alle Tänzerinnen
als seine Töchter ansah – und nicht als lose Frauenzimmer, die man Soldaten überließ. Mischa hatte erwogen, dem Alten Geld anzubieten, sich aber dann gehütet. Statt dessen hatte er ihm ruhig, sachlich – und wahrheitsgemäß – gesagt, tief beeindruckt von einer einzigen Tänzerin zu sein, deren Name ihm fremd sei und die er nun einmal kennenlernen wolle.
    Â»Und warum?« hatte der alte Türsteher kalt gefragt.
    Â»Weil sie mir zugelächelt hat, Großväterchen«, hatte Mischa im ehrfürchtigen Tonfall eines kleinen Jungen geantwortet.
    Â»Und Sie haben sich in sie verguckt«, sprach der Türsteher streng, schaute ihn dann aber versonnen an. »Aber welche es ist, wissen Sie nicht?«
    Â»Sie war – im Glied, also keine Vortänzerin. Wie sagt man dazu? Auf jeden Fall werde ich ihr Gesicht mein Leben lang nicht vergessen.« Das hatte er schon damals gewußt.
    Der Türsteher musterte ihn und sah, daß er aufrecht stand und daß seine Uniform sauber und adrett war. Dies war kein arroganter NKWD-Offizier, der nach Wodka stank, sondern ein gutaussehender junger Soldat. »Genosse Leutnant, Sie haben Glück. Wissen Sie warum? Weil ich selbst einmal jung war und das nicht vergessen habe. In zehn Minuten kommen sie heraus. Stellen Sie sich dort drüben hin und sagen Sie keinen Ton.«
    Gedauert hatte es dreißig Minuten. Heraus kamen sie in Zweier- und Dreiergruppen. Mischa hatte die Tänzer gesehen und hielt sie für – nun ja, was ein Soldat halt von einem Mann hält, der beim Ballett ist. Als die Tür aufging, war er von dem hellen Licht, das auf die finstere Gasse fiel, geblendet worden und hätte sie beinahe verpaßt – so anders sah sie ohne Schminke aus.
    Er sah das Gesicht und versuchte zu entscheiden, ob sie die Richtige war, näherte sich seinem Ziel so vorsichtig, als läge er unter deutschem Feuer.
    Â»Sie hatten Sitz Nummer zwölf«, sagte sie, ehe er den Mut zum Reden gefaßt hatte.

    Â»Jawohl, Genossin Künstlerin«, hatte er

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