Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kardinal im Kreml

Der Kardinal im Kreml

Titel: Der Kardinal im Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clancy Tom
Vom Netzwerk:
Bewegungen ihrer Brust, aber das war auch alles. Wenn sie die Augen schloß, umgab sie Schwärze, aber das war die einzige Alternative. Wo bin ich!
    Bewegung, sagte sie sich, mehr Bewegung. Sie rollte sich herum, suchte nach Widerstand, einem Stimulans für ihren Tastsinn. Nichts, nur diese sonderbare Zähflüssigkeit. Wohin sie sich auch wandte, das Gefühl des Treibens, Schwebens blieb unverändert. Oben oder unten, links oder rechts – alles einerlei. Sie schrie so laut sie konnte, nur um etwas Reales zu hören. Nur das ferne, verklingende Echo einer fremden Stimme.
    Nun begann die Panik.

    Â 
    Â»Zeit zwölf Minuten ... fünfzehn Sekunden«, sagte der Arzt ins Mikrophon. Die Kabine mit dem Steuerpult befand sich fünf Meter über dem Tank. »Puls wird rascher, Atmung zweiundvierzig, akute Angstreaktion hat eingesetzt.« Er warf einen Blick zu Watutin. »Früher als gewöhnlich. Je intelligenter die Versuchsperson –«
    Â»Desto größer das Bedürfnis nach Sinnenreizen; ich weiß«, versetzte Watutin mürrisch. Er war über diese Prozedur informiert, aber skeptisch. Ein brandneues Verfahren, bei dem er zum erstenmal in seiner Karriere auf die Unterstützung eines Fachmannes angewiesen war.
    Â»Puls scheint bei hundertsiebenundsiebzig seinen Höhepunkt erreicht zu haben; keine schweren Irregularitäten.«
    Â»Wie haben Sie es fertiggebracht, daß sie ihre eigene Stimme nicht hören kann?« fragte Watutin den Arzt.
    Â»Ein neues Verfahren. Mit Hilfe eines elektronischen Geräts duplizieren wir ihre Stimme und wiederholen sie phasenverschoben. Das neutralisiert den Schall, den sie erzeugt, fast völlig und hat den Effekt, als schrie sie im Vakuum. Die Perfektionierung nahm zwei Jahre in Anspruch.« Er lächelte. Wie Watutin hatte er Freude an seiner Arbeit und hier zum erstenmal Gelegenheit, jahrelange Mühe Früchte tragen zu sehen.
    Swetlana schwebte am Rande der Hyperventilation; der Arzt änderte das Gasgemisch, das sie einatmete. Diese Verhörmethode hinterließ keine körperlichen Spuren, keine Narben, keinen Hinweis auf Folterung. Im Grunde war sie überhaupt keine Folter, zumindest keine physische. Ein Nachteil der sensorischen Deprivation indes war, daß der von ihr erzeugte Schrecken zur Tachykardie, dem Herzjagen, das tödlich sein konnte, führen mochte.
    Â»So ist’s besser«, meinte er nach einem Blick aufs EKG. »Puls stabilisiert. Patientin erregt, aber in stabiler Verfassung.«
    Â 
    Panik nützte nichts. Obwohl ihre Gedanken noch rasten, vermied es Swetlana, sich selbst Schaden zuzufügen. Sie kämpfte um Beherrschung und wurde seltsam ruhig.

    Bin ich jetzt tot oder lebendig? Sie prüfte alle ihre Erinnerungen, Erfahrungen, fand nichts ...
    Herzschlag!
    Mit offenen Augen suchte sie in der Finsternis nach der Quelle des Geräusches. Es gab etwas; sie brauchte es nur zu finden. Da muß ich hin. Das muß ich zu fassen kriegen.
    Doch sie war in etwas gefangen, das sie noch nicht einmal beschreiben konnte. Sie bewegte sich wieder. Wieder nichts, an dem sie sich festhalten, das sie berühren konnte.
    Erst jetzt erkannte sie, wie einsam sie war. Ihre Sinnesorgane sehnten sich nach Reizen, irgend etwas!
    Und wenn ich jetzt tot bin? fragte sie sich.
    Ist das so, wenn man tot ist ... einfach ein Nichts? Dann ein beunruhigender Gedanke. Bin ich in der Hölle?
    Doch da war etwas, dieses Geräusch. Sie konzentrierte sich darauf, nur um festzustellen, daß es um so schwächer wurde, je schärfer sie hinhörte. Es war, als wollte sie nach einer Rauchwolke greifen.
    Swetlana kniff die Augen zu, nahm allen Willen zusammen und konzentrierte sich auf den rhythmischen Ton eines menschlichen Herzens. Dabei erreichte sie nur, daß der Schall sich ihren Sinnen entzog, schwächer wurde, bis nur noch ihre Imagination ihn hörte.
    Sie stöhnte, hörte aber so gut wie nichts. Wie war es möglich, daß sie sprach, aber nichts vernahm?
    Bin ich tot? Die schlimme Frage verlangte nach einer Antwort. Doch würde sie sie ertragen können?
    Swetlana Wanejewa biß sich auf die Zunge, so fest sie konnte. Salziger Blutgeschmack war ihre Belohnung.
    Ich lebe! sagte sie sich und erfreute sich scheinbar für eine lange Zeit dieser Erkenntnis. Doch auch eine lange Zeit fand einmal ein Ende:
    Aber wo bin ich? Bin ich etwa begraben ... lebendig? LEBENDIG

Weitere Kostenlose Bücher