Der Kardinal im Kreml
um einen sehr ernsten Fall. Watutin besprach sich mit dem Leiter seines Direktorats.
Der nächste Schritt war heikel. Das KGB, das im Westen als allmächtig gilt, hat schon immer dem Parteiapparat unterstanden; selbst das KGB brauchte erst eine Genehmigung, wenn es um ein Mitglied der Familie eines so mächtigen Funktionärs ging. Der Leiter des Zweiten Direktorats
begab sich nach oben zum Vorsitzenden des KGB. DreiÃig Minuten später kehrte er zurück.
»Sie können sie festnehmen lassen.«
»Der Sekretär des ZK â«
»Wurde nicht informiert«, versetzte der General.
»Aber â«
»Hier ist der Befehl.« Watutin ergriff den mit der Hand ausgefüllten und vom Vorsitzenden persönlich unterzeichneten Bogen.
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»Genossin Wanejewa?«
Sie schaute auf und sah einen Mann, der sie merkwürdig anstarrte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin Hauptmann Klementi Wladimirowitsch Watutin von der Miliz und möchte Sie bitten, mit mir zu kommen.« Der Vernehmungsbeamte achtete scharf auf eine Reaktion, doch die blieb aus.
»Und zu welchem Zweck?« fragte sie.
»Möglicherweise können Sie uns bei der Identifizierung einer Person behilflich sein. Weitere Auskünfte darf ich hier nicht geben«, fügte der Mann verständnisheischend hinzu.
»Wird das lange dauern?«
»Wahrscheinlich ein paar Stunden. Wir lassen Sie dann nach Hause fahren.«
»Na gut. Ich habe im Augenblick nichts Dringendes auf dem Schreibtisch.« Sie erhob sich ohne ein weiteres Wort. Der Blick, mit dem sie Watutin bedachte, verriet ein gewisses Gefühl der Ãberlegenheit. Die Bürger brachten der Moskauer Miliz keinen übermäÃigen Respekt entgegen, und die Tatsache, daà ein Mann seines Alters nur Hauptmann war, verriet ihr allerhand über seine Karriere. Innerhalb einer Minute war sie in ihren Mantel geschlüpft, hatte ihr Paket genommen, und die beiden verlieÃen das Gebäude. Wenigstens ist der Hauptmann kulturni, dachte sie, als er ihr die Tür öffnete. Swetlana ging davon aus, daà dieser Hauptmann wuÃte, wer sie war â oder, genauer gesagt, wer ihr Vater war.
Ein Wagen stand bereit und fuhr sofort los. Erst am Chochlowskaja Platz merkte sie, wohin es ging.
»Fahren wir denn nicht zum Justizministerium?« fragte sie.
»Nein, ins Lefortowo-Gefängnis«, versetzte Watutin lässig.
»Aber â«
»Ich wollte Sie an Ihrem Arbeitsplatz nicht beunruhigen. In Wirklichkeit bin ich Oberst Watutin vom Zweiten Hauptdirektorat.« Darauf reagierte Swetlana, fing sich aber sofort wieder.
»Und wobei soll ich Ihnen behilflich sein?«
Die Frau ist geschickt, dachte Watutin, das wird nicht einfach. Der Oberst war ein treuer Diener der Partei, aber nicht unbedingt ihrer Vertreter. Korruption haÃte er fast so leidenschaftlich wie Landesverrat. »Nur eine Kleinigkeit â zum Abendessen sind Sie bestimmt zu Hause.«
»Meine Tochter â«
»Wird von einem meiner Leute abgeholt. Darf ich sie bei Ihrem Vater absetzen lassen, falls es etwas später werden sollte?«
Darüber muÃte sie lächeln. »Nein, Vater verwöhnt sie für sein Leben gern.«
»Nun, so lange wird es wahrscheinlich nicht dauern«, meinte Watutin und schaute aus dem Fenster. Der Wagen rollte gerade durchs Gefängnistor. Er half ihr beim Aussteigen; ein Feldwebel hielt ihnen beiden den Schlag auf. Erst Hoffnung machen, sie dann wieder nehmen. Er faÃte sie sanft am Arm. »Hier entlang zu meinem Büro. Wie ich höre, reisen Sie oft in den Westen.«
»Das gehört zu meiner Arbeit.« Inzwischen war sie auf der Hut.
»Ich weiÃ. Ihre Abteilung befaÃt sich mit Textilien.« Watutin öffnete seine Bürotür und winkte sie hinein.
»Das ist sie!« rief jemand. Swetlana Wanejewa blieb wie angewurzelt stehen. Watutin ergriff wieder ihren Arm und führte sie zu einem Stuhl.
»Bitte, nehmen Sie Platz.«
»Was soll das bedeuten!« rief sie und war nun wirklich besorgt.
»Dieser Mann wurde im Besitz von Staatsdokumenten ertappt und behauptet, sie von Ihnen erhalten zu haben«, sagte Watutin und setzte sich an seinen Schreibtisch.
Swetlana drehte sich um und starrte den Kurier an. »Ich habe dieses Gesicht noch nie gesehen!«
»Stimmt«, bemerkte Watutin trocken. »Das weià ich.«
»Was â« Sie
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