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Der Kardinal im Kreml

Der Kardinal im Kreml

Titel: Der Kardinal im Kreml Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clancy Tom
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    Â»Puls wird wieder schneller. Eine zweite Angstphase scheint einzusetzen«, sprach der Arzt aufs Band. Eigentlich schade, dachte er. Er hatte bei der Vorbereitung der
Patientin mitgeholfen. Eine sehr attraktive Frau, deren glatten Bauch nur Schwangerschaftsstreifen verunzierten. Man hatte ihr die Haut eingefettet und sie in einen Kälteschutzanzug für Sporttaucher gesteckt, dessen Spezialmaterial so glatt war, daß man es schon im Trockenzustand kaum spürte – und im Wasser schien es überhaupt nicht vorhanden zu sein. Selbst das Wasser im Tank war so mit Salz versetzt, daß sie schwerelos trieb. Bei ihren Drehungen und Windungen hatte sie sich auf den Kopf gestellt, ohne es zu merken. Das einzige wirkliche Problem war die Möglichkeit, daß sie sich in den Luftschläuchen verhedderte; um dies zu verhindern, waren zwei Taucher im Tank, die sie aber nicht berühren durften.
    Der Arzt warf Watutin einen selbstzufriedenen Blick zu. Jahrelange Arbeit steckte in diesem geheimsten Teil des Vernehmungsflügels im Lefortowo-Gefängnis. Das zehn Meter breite und fünf Meter tiefe Becken, das Wasser mit dem exakt dosierten Salzgehalt, die speziell angefertigten Anzüge stellten eine Verhörmethode dar, die in jeder Hinsicht den antiquierten Methoden, die das KGB seit der Revolution angewandt hatte, überlegen war. Nur eine einzige Versuchsperson war vor Angst an einem Herzanfall gestorben. Die Werte veränderten sich wieder.
    Â»Ah, es tut sich was. Sieht so aus, als begänne jetzt die zweite Stufe. Zeit eine Stunde, sechs Minuten.« Er wandte sich an Watutin. »Dies ist normalerweise eine lange Phase. Mal sehen, wie lange sie bei dieser Versuchsperson dauert.«
    Der Doktor kam Watutin wie ein Kind vor, das sich an einem komplizierten, grausamen Spiel erfreut; obwohl er unbedingt wissen wollte, was die Person wußte, stieß ihn der Prozeß ab. Er fragte sich, ob man ihn eines Tages auch bei ihm anwenden würde ...
    Â 
    Swetlana war schlaff. Das Zittern der endlosen Stunden des Schreckens hatte ihre Glieder erschöpft. Sie atmete nun flach; selbst ihr Körper hatte sie inzwischen im Stich gelassen, und ihr Geist versuchte auszubrechen und auf eigene Faust zu erkunden. Es kam ihr vor, als sei sie von dem
nutzlosen Sack Fleisch getrennt, als sei ihr Geist, ihre Seele nun allein und frei. Doch diese Freiheit war kein geringerer Fluch als das, was ihr zuvor widerfahren war.
    Sie konnte sich nun frei bewegen, den sie umgebenden Raum sehen, doch er war ganz leer. Sie bewegte sich, als schwämme sie oder schwebte im grenzenlosen Raum. Arme und Beine konnte sie mühelos schwenken, doch wenn sie nach ihren Gliedern schaute, stellte sie fest, daß sie sich außerhalb ihres Gesichtsfeldes befanden. Der Rest ihrer Vernunft redete ihr ein, daß sie dem Verderben entgegentrieb. Doch war das nicht der Einsamkeit vorzuziehen?
    Die Anstrengung dauerte eine Ewigkeit. Befriedigend dabei war nur, daß ihre unsichtbaren Glieder nicht ermüdeten. Swetlana verdrängte ihre Bedenken und ergötzte sich an der Freiheit und der Tatsache, daß sie den Raum um sich herum nun sehen konnte. Nun schwamm sie schneller. Sie bildete sich ein, der Raum vor ihr sei heller als der hinter ihr. Wenn es da vorne ein Licht gab, würde sie es finden, und ein Licht machte einen Riesenunterschied. Schwach entsann sie sich der Freude, die sie als Kind beim Schwimmen empfunden hatte. Sie war die beste Taucherin der Schule gewesen, hatte viel länger als alle anderen die Luft anhalten können. Sie lächelte verzückt und ignorierte die Warnungen der letzten Reste ihres Intellekts.
    Ihr war, als schwämme sie tage-, wochenlang, immer auf die Helligkeit zu. Erst nach Tagen erkannte sie, daß der Raum vor ihr nie heller wurde, doch um diese letzte Warnung ihres Bewußten kümmerte sie sich nicht. Sie strengte sich beim Schwimmen mehr an und empfand zum erstenmal Müdigkeit, die sie ignorierte. Swetlana Wanejewa mußte die Freiheit zu ihrem Vorteil nutzen, erkennen, wo sie sich befand oder, besser noch, einen Weg aus diesem gräßlichen Zustand finden.
    Wieder löste sich ihr Geist von ihrem Körper, und als er hoch genug geschwebt war, schaute er hinab auf die ferne, treibende Gestalt. Selbst aus dieser großen Höhe waren die
Ränder dieser weiten, amorphen Welt nicht zu erkennen, doch die winzige Figur unter sich konnte sie sehen,

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