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Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells

Titel: Der Kastrat - Harvell, R: Kastrat - The Bells Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Harvell
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sickerte dann in den Boden wie
Sand, der einem durch die Finger rinnt. Gießbäche grollten in den Schluchten.
Weit in der Ferne floss die Reuss mit gedämpftem Rauschen durch das Tal.
    Da hörte ich ein merkwürdiges
Geräusch. Es war wie Donner, nur weicher – ich hatte so etwas noch nie gehört.
Und zur selben Zeit erklang ein Schrei. Ich sah zu meiner Mutter auf, die ihre
Hämmer schwang, schob die Glocke, das fließende Wasser, die Kühe, meine Mutter
beiseite und hörte kurze Zeit gar nichts.
    Dann wieder ein Schrei.
    Dieses Geräusch war menschlich, aber
nicht die Mischung, die ich aus dem Dorf kannte – ein Durcheinander aus Hunger,
Wut, Freude und Gier. Das hier war der Klang des Schmerzes.
    Ich schloss die Augen und prägte ihn
mir ein. Vier- oder fünfmal erhob er sich, vibrierte auf der höchsten Note und
wurde dann abgewürgt, wenn dem Schreienden die Luft ausging. Der Klang
erschreckte mich, aber trotzdem kletterte ich die Leiter hinunter, erstarrte
bei jedem neuen Schrei, eilte weiter, wenn er aufhörte, und verfolgte sein
Echo. Ich rannte durch die Seitentür der Kirche, kletterte über einen Zaun und
glitt über die matschige Wiese in den Wald unterhalb der Kirche.
    Oberhalb von Nebelmatt gibt es nichts
als Weideland und Felsen und Schnee. Unterhalb des Dorfes fallen die Berge zu
Wäldern und Schluchten ab, und bis zu dem Punkt, an dem der Kiefernwald an das
Tal grenzt, gibt es nur wenige Lichtungen. So schnell ich konnte, rannte ich
auf einem Fußweg in den tiefen Wald hinein, sprang von den größeren Felsen
hinab und wurde durch das Gefälle immer schneller. Auf einer Lichtung, die im
Sommer zuvor von einem Feuer verwüstet worden war, hörte der Weg plötzlich auf.
    Ihr Gesicht steht mir immer noch vor
Augen. Die Muskeln und Sehnen wölbten sich in ihren Wangen, an ihrem Hals, in
ihren Armen und Händen, die sich an den Boden klammerten. Ihre Haut war blutrot
angelaufen.
    Die Erde versuchte sie zu
verschlingen. Ihre Klauen griffen nach ihrem Bauch, der Saum ihres Kleides war
blutig. Um sie herum lagen Steine und Erde. Ein Korb mit wildem Knoblauch lag
ausgeschüttet auf dem Boden wie Rosenblätter bei einer Hochzeit.
    Das Schreien hatte aufgehört. Auf dem
unsicheren Boden ging ich mehrere Schritte auf sie zu, aber meine Füße wurden
von einem Strom aus Erde und Steinen verschluckt.
    In ihrem Hals gurgelten Galle und
Blut; ich hörte das Summen angespannter Muskeln, das wilde Klopfen ihres
Herzens. Mit leeren Augen sah sie mich an, ich wollte ihren Schmerz enden lassen
und wollte sie halten, wie meine Mutter mich gehalten hatte. Ich machte noch
einen Schritt, wobei ich einen Felsbrocken von der Größe meines Rumpfes ins
Rollen brachte. Schnell sprang ich auf festen Boden zurück. Dieses Ungeheuer
wollte auch mich haben.
    Dann rannte ich. Inzwischen war es
spät, die Glocken waren verklungen, und niemand war auf den Feldern. Ich spürte
noch ihren Atem und die leise, hoffnungsvolle Veränderung ihres Herzschlags,
als sie mich gesehen hatte, also rannte ich schneller, vorbei an den ersten
stillen Häusern, vorbei an Kindern, die auf dem steinigen Weg spielten, vorbei
an Karl Victors Haus, dessen hohe Eichentür geschlossen war. Ein paar Schritte
weiter saßen ein Dutzend Männer an einem Tisch aus ungehobelten Holzbrettern.
Der Schnaps hatte ihre Wangen gerötet, ihre starken Rücken waren wie eine
Mauer.
    »Ivo sagt, sie hat Augen wie Juwelen«,
sagte einer der Männer.
    »Bitte«, flüsterte ich. Die Mauer der
Rücken blieb geschlossen.
    »Auch wenn es Diamanten sind, muss er
sie abrichten«, sagte ein zweiter. Die anderen lachten. »Frauen aus der Stadt
sind zart.«
    »Kommt«, sagte ich lauter. »Sie
stirbt.«
    »Zart kann doch nicht schaden.« Der
Mann direkt über mir hatte gesprochen, und als ich ihm meine Hand auf den
Rücken legte, spürte ich das Grollen seines Gelächters.
    Ich hörte wieder ihren Schrei, dieses
Mal in meinem Kopf; er kam aus der Bibliothek der Laute, die ich niemals
wegwerfen kann. Ich hörte das Gurgeln in ihrem Hals, hörte, wie sie sich an den
Schlamm klammerte. War sie schon begraben?
    Ich griff nach dem Hemd des Mannes.
Seine Hand schlug meine weg.
    »Bitte!«, rief ich.
    Die Reihe der Rücken war so hoch wie
eine Klippe.
    Ich schrie.
    Das war ein Geräusch, das selbst ich
nicht kommen gehört hatte. Es war wie eine Tür, die an einer Stelle aufgerissen
wird, wo vorher nur eine Wand war. Als kämen viele Geister – meine Mutter, die
verschüttete Frau, Vater

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