Der Keil des Himmels
verfolgt. „Mir bist du nicht verdächtig sondern nahe“, hatte die Enthravanin Viankhuan einmal zu ihm gesagt. In diese Nähe war nun der Keil der Täuschung gefahren. Was konnte danach an Aufrichtigkeit noch bestehen?
Wie konnte all dies sein, wo er doch auf der Suche nach nichts anderem als der Wahrheit war?
Er hatte ihr gegenübergesessen, wie schon so oft, und die ganze Welt hatte sich verändert. Weil er sich verändert hatte.
Es schien, er selber war zu jenem unruhigen, ungebetenen Gast geworden, der sonst irgendwo tief in ihm gehaust hatte. Viele Fragen und Zweifel gingen in diesem Tagen durch seinen Geist, mehr als je zuvor. Doch anders als zuvor hatte er jetzt jemanden, mit dem er sie teilen konnte.
Der Angehörigen des Neuen Ringes konnte er sich seit den letzten Aussprachen und Kontroversen nicht mehr sicher sein, doch da war – seltsam genug und ein Rätsel für sich – der Menschenmann. Ein Adamainra. Oder richtiger: ein Vai-Gaijar. Einem Geschöpf des Feindes vertraute er seine Zweifel an, mit ihm beriet er sich und mit ihm tauschte er sich aus.
Wahrhaftig, die Welt war eine seltsame geworden.
Er vertrieb die Schatten der Erinnerung an das Gespräch mit der Enthravanin und richtete seine Aufmerksamkeit bewusst wieder auf seinen Umgebung und die Gegenwart.
Es war eine Welt in der er mit Auric, dem Vai-Gaijar, in der Halle des Patenkonvents vor der lichtgewebten, säulengleichen Gestalt des Silaé Bogenfall des Lichts stand, dessen Ausführungen über seine Erkundungen anhörte, ohne dass ihm die Worte irgendetwas bedeuteten. Was gingen ihn Regionen jenseits der Sturmzonen der Planetenscheide an, wenn die größten Rätsel für ihn hier in Himmelsriff lagen?
Auric trug zwar die Stoffe der Ninraé, da seine alte Kleidung nur aus zerfetzten Lumpen bestanden hatte, war aber eindeutig als ein Fremder in Himmelsriff erkennbar, als ein Außenseiter, der auf dem hellen, glatten Stein des Bodens vor dem Silaé stand. Nicht nur, dass die Ninraéstoffe entsprechend dem Schnitt idirischer Kleidung für ihn zugeschnitten worden waren, seine ganze Erscheinung, seine ganze Präsenz bildete einen Gegensatz zu der schlanken, vieldeutigen Linienführung des Raumes und der lichthaften Gestaltprojektion schlanker Gliedmaßen und feiner, langgezogener, eindeutig nicht menschlicher Gesichtszüge von Bogenfall des Lichts .
„Es gibt dort Wolkenfelder und Sphärengitter, die noch in Bildung begriffen sind“, hörte Darachel Bogenfall des Lichts in seiner selbstvergessenen Schilderung fortfahren. „Eine völlig neue Region. Aber das Interessanteste ist der Austausch und die Immersion mit den dort sich ins Dasein faltenden, noch stark verhüllten Kräften. Es ist eine seltene Gelegenheit die Entstehung einer vollkommen neuen Wesensphäre zu beobachten. Man muss sich dazu natürlich in die dunklen Bereiche der Wandelstürme wagen, mit denen solche Neubildungen verbunden sind. Doch das Wagnis verminderter Wahrnehmung in ihren Verwirbelungsbereichen wird aufgewogen durch die Erkenntnisse und Belebungen, die man in der Verbindung mit den entstehenden Regionen erfährt. Diese Schätze, diese Kronen. Es gibt dort Ausblicke.“ Der Silaé verstummte für einen Augenblick. „Wenn die Schleier der Wolken sich für einen Moment verziehen, sieht man durch ihre Schichten zuweilen ein Licht, ein rotes Glühen, wie eine glosende Faust direkt vor dem Wabern des Domänenwalls.“
Darachel hatte, Schwierigkeiten den Worten des Silaé zu folgen, auch wenn er seine Aufmerksamkeit darauf richtete, denn in seinem Enthusiasmus verwob er Zeichenfolgen eines Darachel noch unbekannten Idioms mit ihren übrigen drei Sprachen. Er sah, wie auch jetzt die ihm sichtbaren Wesensglieder des Silaé sich in etwas für Darachel Fremdartiges und Amorphes hinein tasteten. Seine Erforschungen der unbekannten Region hinter dem neu gebildeten Membranfeld hatten, nachdem er erst einmal durch die dunklen Schleier und das Chaos ihrer Randbereiche gedrungen war, einen so großen Eindruck bei ihm hinterlassen, dass deren Prägungen ihn ständig wie Schleier umflirrten, auch wenn sie für ihn als Ninra nicht entzifferbar waren.
Darachel schien es, dass der Silaé plötzlich stutzte und sein Blick, der sich in den unbestimmten Weiten seiner Vorstellung verloren hatte, sich wieder fokussierte. Er wandte den Kopf und richtete das blaue Glimmen seiner Augen auf Auric, so als sähe er diesen zum ersten Mal. Fast kam es Darachel so vor, als läge etwas
Weitere Kostenlose Bücher