Der Kelch von Anavrin. Adrian schreibt als Lara Tina St. John - Adrian schreibt als Tina St. John, L: Kelch von Anavrin
hatte.
»Steht auf!«, befahl er dem Kaufmann, der von dem Kinnhaken noch benommen war. Eine seiner Geldbörsen, die er am Gürtel trug, hatte sich geöffnet, sodass sich die glänzenden Münzen auf den Boden ergossen. Braedon bückte sich, entriss dem Mann einen ganz bestimmten Lederbeutel und befestigte ihn mit einem schnellen Laufknoten an seinem Schwertgehenk. »Hoch mit Euch und nehmt Eure Waffe, es sei denn, Ihr zieht es vor, auf der Stelle aufgespießt zu werden.«
Fluchend schüttelte Ferrand den Kopf, stützte sich auf ein Knie und funkelte Braedon wütend an. »Ihr glaubt wohl, dass ich Euch nicht erkannt habe, wie? Oh, ja«, sagte er mit einem heiseren Glucksen. »Ich weiß, wer Ihr seid, Monsieur. Ich weiß alles über Euch.«
Von einer dunklen Vorahnung erfasst verspürte Braedon ein eigentümliches Prickeln im Nacken. Er starrte den dicken kleinen Mann finster an und bemerkte ein belustigtes Aufglimmen in dessen Augen. Fest umschloss Braedon den Knauf seines Schwerts, während das Blut laut in seinen Ohren rauschte. Er packte den Kaufmann am Kragen, riss ihn vom Boden hoch und hob das Schwert. »Ihr hattet Eure Chance, Ferrand. Jetzt müsst Ihr sterben.«
Braedon holte gerade zum tödlichen Hieb aus, als er einen Schrei hörte, der von weiter unten an den Docks zu ihm hinaufdrang. Rasch warf er einen Blick über die Schulter. Durch das Schneetreiben sah er, dass die junge Frau mit dem Mann rang, der schwer verletzt in die Fluten des Flusses gefallen war und den Braedon offenbar doch besser hätte töten sollen. Der Schurke befand sich zwar noch bis zur Hüfte im Wasser, hielt sich aber an den Beinen der Frau fest, um sich an ihnen aus dem Wasser zu ziehen.
»Verflucht!«
Braedon musste sich binnen Sekunden entscheiden: Sollte er Ferrand töten oder der jungen Frau zu Hilfe eilen? In seiner Wut wollte er nichts mehr, als den kleinen Kaufmann zu erschlagen, doch dadurch würde er kostbare Zeit verlieren. Ferrands Gedanken schienen in dieselbe Richtung zu gehen, denn er versuchte sich aus Braedons Griff zu befreien. »Ein anderes Mal, Monsieur«, sagte er und kicherte leise.
Braedon spürte ein seltsames Kribbeln in seinen Fingerspitzen, auch die Haare auf seinem Arm richteten sich auf. Ruckartig drehte er den Kopf zu Ferrand … und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen.
»Großer Gott«, entfuhr es ihm mit einem Keuchen, denn der Franzose war fort. Eben noch hatte er ihn am Kragen gepackt, und jetzt war Ferrand im Schneeregen verschwunden. Auf dem Kai, nur wenige Schritte von ihm entfernt, huschte eine große braune Ratte über die Planken. Sie hielt inne – beim Allmächtigen, blieb sie etwa stehen, um zu ihm aufzuschauen? – , ehe sie wieder mit den Schatten der Docks verschmolz.
Nein.
Unmöglich.
Der unablässige Schneeregen, die düsteren Nebelschwaden – allmählich begann das unwirtliche Wetter seine Sinne zu beeinträchtigen. Er musste beim Zurückschauen den Griff gelockert haben, sodass Ferrand ihm entschlüpfen konnte. Der heulende Wind hatte wahrscheinlich dessen Schritte übertönt. Im Schutz des Schneeregens musste der Kaufmann einen Schlupfwinkel auf der weitläufigen Kaianlage gefunden haben. Menschen aus Fleisch und Blut lösten sich nicht einfach so in Luft auf. Und doch …
Wieder drang ein weiblicher Schrei an Braedons Ohr und lenkte ihn von dem beunruhigenden Gefühl ab, das sich in seiner Magengegend ausbreitete. Rasch fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht, schob jegliche Gedanken an Ferrand beiseite und richtete seine Konzentration ganz auf die junge Frau. Er sah sie sich bücken und das Verladenetz mit einiger Mühe über ihren Angreifer werfen. Obwohl das Netz dessen Bewegungsfreiheit recht wirkungsvoll einschränkte, gelang es ihm, einen Arm nach Ariana auszustrecken und ihren Fußknöchel zu umklammern.
Braedon eilte über das Dock und war auf dem Pier, ehe die Frau auf den feuchten Bohlen aufschlug.
Sie klammerte sich an eines der großen Fässer und schrie, als ihr Widersacher sich aus dem Wasser zog. Nach wie vor hielt er sie am Fußgelenk fest, aber sie setzte sich entschlossen zur Wehr. Mit ihrem freien Bein trat sie nach dem Mann und hielt sich an dem Fass fest, um nicht in den Fluss gezogen zu werden. Ferrands Mann griff nach seinem Schwert, das eine Armeslänge von ihm entfernt auf dem Pier lag, doch seine Finger sollten den Knauf nicht mehr erreichen.
Donnernden Schrittes rannte Braedon auf die beiden zu und trieb dem Mann das Schwert in den
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