Der Kelim der Prinzessin
oder galt das alles nicht mehr? Die Art und Weise, wie mich schon zuvor die Grande Maitresse hatte stehen lassen, konnte durchaus besagen, dass sie mir die schwierige Mission zutraute und es weiterer Anweisungen an mich nicht bedurfte - oder das genaue Gegenteil: Ich war auch für sie wertlos geworden! Jedenfalls saß ich nun wieder allein in Damaskus und wusste nicht mehr ein und aus. Yeza blieb meine einzige Hoffnung, sie würde Verständnis haben für die Nöte ihres William - doch wo war meine kleine Prinzessin abgeblieben? Was konnte ich noch unternehmen, um sie zu finden, sie mit ihrem Trencavel zusammenzuführen?
Ali hatte, kaum, dass Roc das Feld geräumt, Besitz vom Herrscherpalast ergriffen. Der Kommandant der Zitadelle hatte ihm dazu willig die Hand gereicht und einen Teil der dort stationierten Truppen abgezweigt, damit sie Alis Anspruch auf die Herrschaft durchsetzten. Doch der Sultanssohn - meines Wissens keineswegs durch irgendwelche Blutsbande mit dem umgekommenen An-Nasir verbunden, sondern mamelukischer
Herkunft - stieß auf
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keinerlei Widerstand. Ich wunderte mich noch darüber, warum die Damaszener, letzte Bastion der Ayubiten und seit dem großen Saladin mit eigenem Anspruch auf den Sultanstitel, ausgerechnet einem Ägypter die Stadt ausliefern wollten. Aus Kairo war ihnen doch noch nie Gutes widerfahren?! Was also hatte den aufrechten Kommandanten dazu bewogen, sich diesem windigen Ali an den Hals zu werfen?
Der Baouab wurde in den salet al tadj, den Kronsaal, beordert, damit er als Oberhofmeister dem neuen Herrn stellvertretend für die gesamte Dienerschaft des Palastes die Treue schwöre. Ich sollte als Zeuge bei diesem Akt zugegen sein, wenngleich ich mir als christlicher Mönch höchst überflüssig vorkam. Doch schien es mir nicht ratsam, mich dem Wunsch des aufbrausenden und wahrscheinlich auch tückischen Ali zu widersetzen. Ali hatte auf dem Thron des Sultans Platz genommen und ließ den Baouab vor ihm niederknien. Er winkte ihn näher zu sich heran und zog aus dem Halsausschnitt seines qamis ein Medaillon am Lederband hervor. Das hielt er dem Baouab unter die Nase.
»Erkennt Ihr diese hamsa, das Zeichen meiner herrscherlichen Würde?«
Allein schon der Ton seiner leise vorgebrachten Frage drängte den Oberhaushofmeister sie freudig mit »Ja, gewiss doch, mein Herr!« zu beantworten.
Doch Ali in seiner Güte ließ es dabei nicht bewenden. Laut, damit es alle hören konnten, fügte er noch hinzu:
»Lange Jahre nachdem mein erhabener Vater Sultan An-Nasir Yusuf mich in der Fremde zeugte und ich mein junges Leben in der Verborgenheit des Exils im wilden Kurdistan verbringen musste, unter der Obhut meines ayubitischen Vetters El-Kamil, Emir von Mayyafaraqin, bin ich nun in mein geliebtes Damaskus
zurückgekehrt.« Dabei fixierte mich der dreiste Mameluk, doch ich hielt seinem stechenden Blick tapfer stand.
»In Zeiten höchster Not will der Sohn und legitime Erbe Stadt und Land nicht im Stich lassen, wie jener frevelhafte Usurpator, den ihr gerade davongejagt, es vorhatte -« Ali holte tief Atem. »Ich, Ali ibn Yusuf An-Nasir, werde weder meine treuen
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Untertanen noch unseren Glauben an diese heidnischen Mongolen ausliefern! Das schwöre ich Euch - beim Andenken meines Vaters, dessen Seele Allah bei sich aufgenommen!«
Der Baouab küsste Ali die Hände, ich war sprachlos. Anders verhielt es sich mit den fünf Rittern aus Armenien, die ebenfalls dieser Szene beiwohnen mussten und jetzt vom Kommandanten aufgefordert wurden, dem neuen Herrscher nicht nur zu huldigen, sondern den Treueid zu leisten. Die Ritter erklärten rundheraus, den hätten sie schon ihrem König Hethum geschworen, dessen Vasallen sie seien. Ali geriet außer sich vor Wut und ließ sie, die vor Betreten des Thronsaals die Waffen hatten ablegen müssen, von den Soldaten des Kommandanten festnehmen und fesseln. Ali setzte ihnen eine Frist: Wenn sie beim Ausklingen der letzten Sure des Mittagsgebets den verlangten Schwur nicht abgelegt hätten, würden ihnen die Köpfe abgeschlagen!
DER HAUPTMANN DUNGAI begehrte eiligst Zugang zum Audienzzelt seines Oberkommandierenden. Die
Wachen, die um seine Vertrauensstellung wussten, ließen ihn sofort passieren. Der Treue erstattete seine Meldung erst, als er so dicht vor Kitbogha stand, dass niemand mithören konnte.
»Der Trencavel ist ungekrönt und mit unbekanntem Ziel aus Damaskus entflohen«, berichtete er mit gedämpfter Stimme. »Ein Anschlag auf sein Leben
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