Der Kelim der Prinzessin
Gassen der Stadt:
»Die Mongolen! Die Mongolen kommen!«
Allahu akbar! Allahu akbar!
Mit dieser letzten Anrufung Allahs endete das salat al thuhr. Der Scharfrichter schaute verunsichert hinüber zu Ali, der wild gestikulierend ihm ein »Kopf ab« aufzuzwingen suchte - der starke Mann, auf dessen nackter Brust bereits Schweißtropfen standen, warf einen verzweifelten Blick zum Baouab, der ihm hinterm Rücken Alis genau das Gegenteil wedelte. Der Henker ließ sein riesiges Richtschwert sinken und verdrückte sich in der jetzt auf den Kelim strömenden, ständig anwachsenden Menschenmenge. Auf einen Wink des Baouab trugen die Diener den immer noch fuchtelnden Ali samt Sessel zurück in den Palast.
Ich stand bei den fünf Rittern aus Armenien am Rande des Kelim, denen der tüchtige Baouab eigenhändig die Fesseln aufgeschnitten hatte, mit denen ihnen die Arme auf den Rücken gebunden waren. Hatten sie der Aussicht, dass ihre Köpfe um ein Haar über den Teppich gerollt wären, mit stoischem Gleichmut
entgegengesehen, schimpften sie jetzt wie zänkische Dohlen über das unzumutbare Knien auf hartem Stein, dem man sie ausgesetzt hatte. Der Baouab ging nicht darauf ein, mit eiligst aus dem Palast zusammengetrommelter Dienerschar bemühte er sich, den Kelim für die nächsten Gäste einigermaßen sauber zu fegen. Ali hatte sich aus dem Palast davongestohlen und auf der Zitadelle Zuflucht gesucht. Wir warteten auf das Eintreffen der Heeresspitze der Mongolen. Neugierig - und weil ich das Gekeife der Armenier mir nicht länger anhören wollte -
setzte ich mich von der aufgeregten Dienerschaft des Palastes ab und postierte mich eingangs des midan kabir, des Großen Platzes, dort wo die Decumana einmündete.
Dann sah ich sie schon kommen: Vorneweg ritt der alte Kitbogha und neben ihm - mein Herz tat einen Freudenhüpfer! - meine Yeza! Gleich gefolgt vom festlich gewandeten Fürsten Bohemund und einem hohen Herrn, den ich nicht kannte - ein gekröntes Haupt! Dahinter die Marschkolonnen der Mongolen, so weit mein Auge reichte. Doch gerade als Yeza auf meiner Höhe angekom-339
men und ich ihr zuwinken wollte, zügelte sie ihr Pferd. Ich sprang hinzu, aber sie achtete nicht auf mich. Ihre Augen waren zornig auf den Kelim gerichtet, der sich in seiner malträtierten Pracht vor ihnen ausbreitete.
»Da habt Ihr endlich das Geschenk des Lulu«, instruierte sie spitz den ergrauten Feldherrn. »Euch mag er als Fußmatte dienen, ich setze keinen Fuß auf diesen >Teppich des Unglücks nach ihren Gesten zu urteilen - offensichtlich bei ihm bitter beschwerten. Es waren wenig Zuschauer gekommen, und Jubel war an keiner Stelle - soweit ich es hören konnte - aufgebrandet. Die Damaszener gaben sich nicht feindlich gesonnen, sie verhielten sich eher gleichgültig, vielleicht auch gelangweilt nach den spektakulären Auftritten von Roc Trencavel und dem Mameluckenprinzen Ali.
Yeza, die schweigend die gesamte Prozedur über neben mir gestanden hatte, und ich respektierte ihre Zurückhaltung, legte mir jetzt ihre Hand auf die Schulter und sagte: »Ach, William, du hast mir gerade noch gefehlt!« Doch ihr sofort einsetzendes helles Lachen und eine herzliche Umarmung entschädigten mich auf der Stelle, allerdings drängte es mich, sogleich meine Neugier ob ihres seltsamen Verhaltens zu befriedigen. Was hatte sie so offenkundig davor zurückschrecken lassen, den Kelim zu betreten? Yeza wich meiner Frage aus.
»Tausend bösartige djinn hocken in seinem Gewebe«, war das Einzige, das sie sich entlocken ließ.
»So ähnlich drückte sich auch der Trencavel aus!«, entfuhr es mir.
Yeza wurde sofort hellhörig. »Roc war hier?!«, fragte sie alarmiert. »Wann?!«
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»Wenige Stunden bevor Ihr mit den Mongolen hier eintraft.«
»Warum hat er nicht gewartet?!«
Ich berichtete von der anfänglich begeisterten Aufnahme durch die Bevölkerung, dem schaurigen Tod der Berenice von
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