Der Kelte
diesen Ausschnitt der Welt gesehen hätte, hätte sie trotzdem sofort gewusst, dass sie nicht mehr im 21. Jahrhundert sein konnten. „Eben waren wir noch in einem Ferienhaus in Erdeven, und es war 2014. Wie kommen wir hierher? Wo sind wir?“ Sie korrigierte sich sofort selbst: „Nein, das weiß ich, in Paris. Aber wann sind wir?“
Alans Miene war bei jedem einzelnen ihrer Worte immer erstaunter geworden. „Du erinnerst dich?“, fragte er. Dann nickte er nachdenklich. „Ja, das habe ich ja schon in dem Café gemerkt.“
„Natürlich erinnere ich mich!“, begehrte Rose auf.
Alan schüttelte sanft den Kopf. Blut quoll hellrot aus seiner Wunde, und Rose wischte es fort.
„Rede schon!“, forderte sie ihn auf.
„Bevor ich zu dir in das Café gekommen bin, habe ich einen Blick auf eine Zeitung geworfen“, sagte er etwas zusammenhanglos. „Heute ist der 21. Juli 1888.“
1888!
Sekundenlang starrte Rose Alan an.
Sie war also tatsächlich in der Zeit gereist.
„Ich träume doch!“, murmelte sie.
„Nein“, widersprach er. „Ich fürchte nicht.“
Um Gelegenheit zu haben, ihre wirbelnden Gedanken zu ordnen, faltete Rose den Stoff zu einem Paket und drückte ihn gegen Alans Wunde, um die Blutung zu stoppen.
„Au!“ Scharf zog Alan Luft durch die Zähne.
„Entschuldige!“ Prüfend nahm Rose das Tuch wieder fort. Die Wunde blutete noch immer. „Ich weiß nicht, wie ich das stoppen soll!“, murmelte sie.
Alan warf einen Blick auf seine verletzte Schulter. „Fester drücken“, sagte er ruhig.
Skeptisch sah sie ihn an. „Das hat eben schon wehgetan!“
„Na und?“ Er machte mit dem Kinn eine auffordernde Geste. „Los!“
Sie musste ein paar Sekunden lang Mut sammeln, bevor sie es schaffte, den Lappen so kräftig es ging auf die offene Wunde zu drücken. Diesmal kam kein Laut über Alans Lippen, aber Rose hatte den Eindruck, dass er noch ein bisschen blasser wurde. Wie viel Blut hatte er wohl verloren?
Ein schrecklicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Was, wenn er hier ohnmächtig wurde oder gar starb? Was sollte sie dann tun? Wie sollte sie ohne seine Hilfe zurück in ihre eigene Zeit gelangen? Ging das überhaupt?
Sie ächzte.
Ihr Gehirn fühlte sich an, als habe jemand einen Knoten hineingemacht.
Alan schien ihre Gedanken zu erraten. „Keine Sorge. Enora findet dich.“ Seine Lider flatterten, während er das sagte.
„Leg dich hin!“, forderte Rose ihn auf. Diesmal gehorchte er ohne Widerworte. Sie hatte eine Million Fragen, aber sie wusste nicht, welche davon sie als Erste stellen sollte.
„Was hat das alles zu bedeuten?“, fragte sie.
Alans Stimme war nur noch ein Hauch. „Du wurdest verflucht ...“ In diesem Moment sanken seine Lider nach unten. Rose stieß eine leise Verwünschung aus. Er war ohnmächtig geworden.
Während Rose sich abmühte, von den schmuddeligen Bettlaken einen Streifen abzureißen und damit den Fetzen ihres Nachthemdes über Alans Wunde festzubinden, wanderten ihre Gedanken ziellos umher. Als sie die Augen schloss, blitzte ein furchtbares Bild vor ihrem inneren Auge auf. Sie sah Alan, wie er sich mit einem Stein in der Hand über sie beugte und – zuschlug ... Hastig riss sie die Augen wieder auf und lenkte ihre Gedanken auf andere Dinge. Sie dachte an Alan in dem Café hier in Paris, in der Hand das Messer, das er nach dem Willen dieser finsteren, schwarzhaarigen Frau gegen Rose schleudern sollte.
Sie hatte ihre Gedanken noch immer nicht unter Kontrolle, als Alan mehr als eine Stunde später wieder erwachte.
Mit einem leisen Stöhnen schlug er die Augen auf.
„Du bist wach!“ Erleichtert beugte sich Rose über ihn. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
Er erwiderte es matt. „Ich bin wach.“
„Wie geht es dir?“ Sie biss sich auf die Zunge bei dieser Frage. Er hatte Schmerzen, das war deutlich zu sehen.
„Ganz okay“, sagte er dennoch, und wie um es ihr zu beweisen, rutschte er in dem Bett ein wenig nach oben, sodass er sich an das metallene Betthaupt anlehnen konnte. „Zeig mir den nächsten Baum, und ich reiße ihn für dich aus.“
Sie ignorierte seinen kläglichen Versuch, einen Scherz zu machen.
„Wie geht es dir?“, fragte er.
Rose runzelte die Stirn, aber bevor sie ihn darauf aufmerksam machen konnte, dass er es war, der hier verletzt herumlag, sprach er schon weiter.
„Ich meine, du musst sehr durcheinander sein nach allem, was geschehen ist.“ Er setzte sich bequemer hin.
„Du hast davon gesprochen, dass ich
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