Der Ketzerlehrling
Alkmund.« Er betrachtete die Schatulle, die zwischen ihnen auf der Bank stand. »Etwas, das William für sie mitgebracht hat? Darf ich es anschauen? Aber das tue ich ja bereits, ich kann den Blick nicht davon abwenden. Das ist ein wundervolles Stück. Und ganz bestimmt sehr alt.«
Elave schaute darauf herab mit der Gleichgültigkeit eines Mannes, für den ein solcher Gegenstand nicht mehr bedeutete als ein zu erledigender Auftrag, etwas, das er mit Freuden aushändigen und los sein würde. Aber er hob die Schatulle bereitwillig auf und legte sie in Cadfaels Hände, damit er sie genauer betrachten konnte.
»Ich soll sie als Mitgift für das Mädchen abliefern. Als mein Herr zu krank wurde, um Weiterreisen zu können, dachte er an sie und erinnerte sich, daß er sie vom Tage ihrer Geburt an in seinem Haushalt aufgenommen hatte. Also gab er mir diesen Kasten, damit ich ihn Girard bringe und er davon Gebrauch machen kann, wenn sie heiratet. Ein Mädchen ohne Mitgift hat wenig Aussicht, einen Mann zu finden.«
»Ich entsinne mich, daß da ein kleines Mädchen war«, sagte Cadfael und drehte die Schatulle bewundernd in den Händen.
Sie war dazu angetan, den Künstler in jedem Mann zu begeistern. Aus einem dunklen, fremdartigen Holz gefertigt, ungefähr einen Fuß lang, acht Zoll breit und vier Zoll hoch, mit fast fugenlos schließendem Deckel und einem kleinen, vergoldeten Schloß. Der Boden war schlicht und dunkel poliert, der Deckel dagegen und seine Ränder mit einem wundervollen Schnitzwerk aus ineinander verschlungenem Weinlaub und Trauben verziert, und in die Mitte des Deckels war ein rhombenförmiges Täfelchen aus Elfenbein eingelassen, ein von einer Aureole umgebener Kopf mit rundlichem Gesicht und großen, byzantinischen Augen. Sie war so alt, daß die scharfen Kanten leicht abgerundet und abgegriffen waren, aber die Vertiefungen des Schnitzwerks waren nach wie vor mit Gold ausgelegt.
»Ein herrliches Stück!« sagte Cadfael und drehte sie ehrfürchtig in den Händen. Sie fühlte sich an wie eine solide Masse aus Holz, in der sich nichts bewegte. »Habt Ihr Euch nie gefragt, was sie enthält?«
Elave schaute leicht überrascht drein, dann zuckte er gleichgültig die Achseln. »Sie war weggepackt, und ich hatte an andere Dinge zu denken. Ich habe sie erst vor einer halben Stunde aus meinem Bündel herausgeholt. Nein, danach habe ich mich nie gefragt. Ich nehme an, Master William hat ein bißchen Geld für sie gespart. Ich händige sie Girard aus, wie er mir aufgetragen hat. Sie gehört dem Mädchen, nicht mir.«
»Und Ihr wißt nicht, woher er sie hat?«
»Doch, ich weiß, wo er sie kaufte. Von einem armen Diakon auf dem Markt in Tripoli, kurz bevor wir uns auf der Heimreise nach Zypern und Thessalonike einschifften. Damals begannen christliche Flüchtlinge aus der Gegend um Edessa in die Stadt zu strömen, von seldschukischen Horden aus Mosul aus ihren Klöstern vertrieben. Sie kamen mit praktisch überhaupt nichts, und um überleben zu können, mußten sie verkaufen, was mitzunehmen ihnen gelungen war. William verstand sich aufs Feilschen mit den Kaufleuten, aber diesen armen Seelen gegenüber war er großzügig. Sie sagten, das Leben in dieser Gegend wäre hart und gefährlich geworden. Auf der Hinreise haben wir uns Zeit gelassen und den Landweg genommen; Master William sagte, er wollte die großartige Sammlung von Reliquien in Konstantinopel sehen. Aber den ersten Teil der Heimfahrt haben wir zur See zurückgelegt. Es gibt eine Menge griechischer und italienischer Kauffahrer, die bis nach Thessalonike fahren, manche davon sogar bis nach Bari oder Venedig.«
»Es gab eine Zeit«, sinnierte Cadfael, der sich um viele Jahre zurückversetzt fühlte, »in der ich diese Gewässer sehr gut kannte. Und wie war die Unterkunft auf all diesen Straßen, die Ihr zu Fuß zurückgelegt habt?«
»Hin und wieder haben wir uns für eine Weile anderen angeschlossen, aber zumeist waren wir beide allein. Die Mönche von Cluny haben Hospize überall in Frankreich und in ganz Italien, selbst in der Nähe der kaiserlichen Stadt gibt es eine Pilgerherberge. Und sobald man das Heilige Land erreicht hat, kann man überall die von den Johannitern geschaffenen Unterkünfte benutzen. Es war schon eine großartige Sache«, sagte Elave. »Solange man unterwegs ist, lebt man jeden Tag für sich und blickt nicht weiter voraus als bis zum nächsten Tag und nicht weiter zurück als bis zum voraufgegangenen. Jetzt sehe ich das Ganze,
Weitere Kostenlose Bücher