Der Ketzerlehrling
an den Anspruch seiner Gemahlin auf den Thron von England glaubte oder nicht, hatte nicht die Absicht, zu ihrer Unterstützung die Truppen auszusenden, die er selbst geschickt und erfolgreich zur Eroberung der Normandie einsetzte, ein Unternehmen, an dem ihm wesentlich mehr gelegen war als an Mathildes Bestrebungen. Anstelle der Ritter und der Waffen, die sie brauchte, schickte er ihr ihren zehn Jahre alten Sohn.
Was für eine Art Vater, fragte sich Cadfael, mochte dieser Graf von Anjou sein? Wie es hieß, legte er größten Wert auf das Wohlergehen seines Hauses und seiner Nachfolger und sorgte dafür, daß seine Kinder eine gute Erziehung erhielten, und gewiß setzte er mit Recht volles Vertrauen in Earl Roberts Fürsorge für das Kind, das er ihm anvertraut hatte. Dennoch – einen noch so kleinen Jungen in ein vom Bürgerkrieg zerrüttetes Land zu schicken! Zweifellos wußte er, was er von Stephan zu halten hatte, und er wußte auch, daß Stephan nicht fähig war, einem Kind etwas zuleide zu tun, selbst wenn er es in die Hände bekam. Aber was war, wenn das Kind seinen eigenen Willen hatte, selbst in so jungen Jahren, und die Reise von sich aus verlangt hatte?
Ja, es war durchaus denkbar, daß ein kühner Vater die Kühnheit seines Sohnes respektierte. Kein Zweifel, dachte Cadfael, wir werden noch von diesem Henry Plantagenet hören, der jetzt in Bristol sitzt, seine Lektionen lernt und abwartet.
»Ich muß mich auf den Weg machen«, sagte Hugh, stand auf und reckte sich träge im warmen Sonnenschein. »Für heute habe ich genug von der Geistlichkeit – Anwesende ausgenommen. Aber Ihr seid im Grunde kein Kleriker. Habt Ihr nie daran gedacht, die niederen Weihen zu nehmen? Gerade so weit, daß Ihr die Vorteile genießen könntet, wenn die eine oder andere Eurer weniger anständigen Handlungen ans Licht käme? Besser die Gerichtsbarkeit des Abtes als meine, wenn das je der Fall sein sollte.«
»Wenn das je der Fall sein sollte«, sagte Cadfael gelassen und erhob sich gleichfalls, »dann würdet Ihr höchstwahrscheinlich Euren Mund halten müssen, denn in neun von zehn Fällen würdet Ihr mit mir darin stecken. Erinnert Ihr Euch noch an die Pferde, die Ihr vor den Eintreibern des Königs versteckt habt, als …«
Hugh legte seinen Arm um die Schultern seines Freundes und lachte. »Oh, wenn Ihr anfangt, mich an irgendwelche Dinge zu erinnern, dann kann ich Euch mit gleicher Münze heimzahlen. Lassen wir die alten Dinge lieber auf sich beruhen.
Wir waren seit jeher zwei vernünftige Männer. Kommt, begleitet mich bis zum Torhaus. Es dürfte bald Vesperzeit sein.«
Gemeinsam schritten sie ohne Hast über den Kiesweg, an der Buchsbaumhecke entlang und durch den Gemüsegarten bis dorthin, wo die Rosenbeete begannen. Bruder Winfrid kam gerade vom Erbsenfeld über die Kuppe des Abhangs, forsch ausschreitend mit dem Spaten über der Schulter.
»Laßt Euch bald die Erlaubnis erteilen, zu kommen und Euren Patensohn zu besuchen«, sagte Hugh, als sie die Buchsbaumhecke umrundeten und der Trubel auf dem Hof ihnen entgegenschlug wie das geschäftige Summen eines Bienenschwarms. »So oft wir in der Stadt ankommen, fragt Giles nach Euch.«
»Ich komme gern. Ich vermisse ihn, wenn Ihr im Norden seid, aber er ist dort im Sommer besser untergebracht als hier innerhalb der Mauern. Und Aline ist wohlauf?« Er fragte voller Zuversicht, denn er wußte, daß er es sofort erfahren hätte, wenn ihr irgend etwas fehlte.
»Sie blüht wie eine Rose. Aber kommt und überzeugt Euch selbst. Sie wird sich über Euren Besuch freuen.«
Sie kamen um die Ecke des Gästehauses auf den Hof, auf dem noch immer ein fast so geschäftiges Treiben herrschte wie auf dem Marktplatz. Ein weiteres Pferd wurde zu den Stallungen geführt. Bruder Denis empfing den neu angekommenen Gast, staubig von der Straße, an der Schwelle seines Reiches; zwei oder drei Brüder rannten mit Strohsäcken, Kerzen und Wasserkrügen hin und her; bereits untergebrachte Gäste beobachteten, wie die Neuankömmlinge sich beim Torhaus drängten, erneuerten alte Bekanntschaften und schlossen neue, während die Kinder der Abtei, Oblaten und Schüler gleichermaßen, sich in kleinen Gruppen zusammenscharten, ganz Augen und Ohren, hüpfend und zirpend wie Grillen, und zwischen den Pilgern so aufgeregt umherspringend wie Hunde auf einem Jahrmarkt. Das Erscheinen von Bruder Jerome auf dem Weg vom Kreuzgang über den Hof zum Hospital hätte die Jungen normalerweise zu gesittetem
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