Der Killer im Lorbeer
Vorstellung. Übellaunig lief ich durch Waverly Terrace. Vor der Tür unseres Hausarztes stand eine junge Frau. Ich bat vorbeizudürfen und bemerkte, dass sie weinte. Sie wandte sich ab. Der Summer ertönte, ich sah noch, wie sie auf jemanden zulief, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartete. Trug der Mann einen
Trenchcoat, oder war es eine lange Jacke? Ich erinnere mich an seine leicht gebückte Haltung. War das Haar dunkel, hatte er überhaupt Haare, trug er einen Bart? Meine alte Schwäche, ich merke mir Menschen durch ihren Wuchs, ihre Bewegungen, selten über die Gesichter. Die weinende junge Frau, da gibt es keinen Zweifel, war Gwendolyn Perry.
»Ogilvy hat sie dauernd mit Blicken gevögelt.« Die Augenbrauen der Studentin sind dicht, ihr Haar ist lang und pechschwarz. Mit überschlagenen Beinen lümmelt sie in einer Bank.
»Sie meinen, Mr Ogilvy wollte mit Miss Perry schlafen?« Rosy sitzt auf dem Tisch, ihr gegenüber.
»Vielleicht hat es ihm genügt, von ihr zu träumen.« Die Langhaarige zuckt mit den Schultern. »Er hatte ein Bild von Gwen in der Brieftasche.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ist mir aufgefallen, als er mal neben mir seinen Drink bezahlte.«
»Ogilvy trägt Gwendolyns Bild im Portemonnaie?« Ralph sitzt in der letzten Reihe des Seminarraumes, den man den Ermittlern zur Verfügung gestellt hat. »So etwas tut man normalerweise mit dem Bild seiner Freundin. Sind Sie sich sicher, dass die beiden nichts miteinander hatten?«
»Warum fragen Sie Ogilvy nicht selbst?«, antwortet die Studentin.
Über das Universitätssekretariat weiß Rosy, dass der Student Ogilvy zur Silberhochzeit seiner Eltern nach Leicester gefahren ist. Er nahm nicht an dem Gruppenseminar teil, bei dem die Ermordete zum letzten Mal gesehen wurde. Er wird morgen in Cheltenham zurückerwartet.
»Die wollten alle Sex mit Gwen«, setzt die Studentin hinzu.
»Woher wissen Sie das? Haben Sie mit ihr darüber geredet?«
»Geredet nicht, geflachst. So sind Jungs nun mal, aber bei Gwen war’s besonders schlimm. Sie haben ständig hinter ihr hergeschnüffelt.«
»Wirkte Miss Perrys Art irgendwie herausfordernd auf Männer? War sie auffällig angezogen?«
»Im Gegenteil.« Die Studentin streckt ihre Beine aus. »Sie kam spießig daher, wie eine höhere Tochter. Vielleicht wegen ihres Jobs im Kindergarten.«
»Also, was machte Miss Perry so aufreizend? Was glauben Sie?«
»Ihr Stolz. Das war es, was die Jungs reizte.«
Rosy schweigt.
»Sie war eitel. Man merkte das nicht gleich, weil sie sich unauffällig anzog.«
»Sind Sie traurig über Gwendolyns Tod?«, fragt Rosy unvermittelt.
»Dass sie sterben musste, tut mir leid, klar. Ob ich traurig bin?« Nach einer Pause schüttelt sie den Kopf. »Nein. Gwen war keine, die man leicht ins Herz schließt.«
»Haben Sie den Namen Rank schon einmal gehört?«, fragt Ralph.
»Nein. Niemand heißt Rank. In unserem Jahrgang kenne ich keinen.«
»Miss Perrys Freund soll Rank heißen.« Rosy steht auf.
»Hatte sie einen Freund?«
»Überrascht Sie das?«
»Gwen genoss es, die Bienenkönigin zu sein. Umschwirrt von vielen, aber keiner kam zum Schuss.«
Rosy beugt sich über die Studentenliste. »Danke, Miss Smythe.«
Die Studentin arbeitet sich aus der Bank hoch, auf ihren hohen Absätzen wirkt sie riesig. »Soll ich den Nächsten reinschicken?«
»Wir melden uns.« Rosy wartet, bis sie den Raum verlassen hat.
Ralph trommelt auf die Tischplatte. »Egal, wie viele wir befragen, die Antworten zu Miss Perry ähneln sich alle: sexy, spießig, arrogant.« Er springt auf und macht sich mit ein paar Schritten Luft. »Ich blicke da nicht durch.«
»Weshalb nicht?« Rosy streicht den Namen auf der Liste durch.
»Miss Perry war Studentin, zugleich Kindergärtnerin. Proper, fast spießig, bei ihrer Chefin weckte sie einen Beschützerinstinkt. Sie hatte einen Freund, dessen Existenz sie geheim hielt. Ob alt oder jung, hat sie die Männer in Aufruhr versetzt. Dabei war sie schwer zugänglich und wirkte arrogant.« Er bleibt stehen. »Kriegst du das zusammen?«
»Eigentlich ganz gut.« Rosy lächelt. »Gwendolyn Perry glaubte, die Männer sind nur an ihr interessiert, weil sie attraktiv ist. Sie wollte aber, dass sich die Menschen für sie interessieren, weil sie sie ist. Sie wünschte sich, dass die Welt, besonders die Männer, hinter ihre Fassade schauen und die kostbare Person entdecken, die sich dort verbirgt. Möglicherweise war Miss Perry aber neben ihrer
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