Der Killer im Lorbeer
Eindruck hat er auf dich gemacht?«
»Ich glaube, er hatte eine heimliche Schwäche für die Tote. An einsamen Abenden steigt Mr Hobbs gern mal in den Branntwein. Wahrscheinlich kann er wirklich nicht sagen, ob sie vor ihrem Tod noch einmal heimkam.«
Den Schlüssel in der Hand, bleibt Rosy stehen. »Diese Frau war stark auf sich bezogen. Es scheint, als ob sie ihre Außenwelt nicht weiter an sich heranließ als bis zu dieser Eisentreppe.« Sie öffnet die Zentralverriegelung.
» Francis Close Hall?« Ralph steigt ein.»Woher weißt du, wo die Uni in Cheltenham ihren Campus hat?«
»Arthur stöbert dort manchmal in der Bibliothek herum.«
»Bist du dir sicher, dass er nicht unter den blutjungen Studentinnen rumstöbert?«
»Man kann nie wissen.« Rosy lächelt und erinnert sich an das Glück, das der frühe Morgen ihr bescherte.
Die Bibliothek ist ein Ort, den ich gern besuche. Ich sollte öfter von dem Angebot Gebrauch machen. Aber wie jeder andere bin auch ich bequem geworden. Wenn ich etwas wissen will, gehe ich online und finde die Antwort in Sekundenschnelle. Bei komplizierten Fragen, die altes Wissen voraussetzen, ist die ehrwürdige Bibliothek von Cheltenham jedoch genau der rechte Ort.
Bei der Bekämpfung der Schrotschusskrankheit, die durch den Pilz Stigmina carpophila ausgelöst wird, empfiehlt das Internet zum Beispiel , ein Kupferpräparat zu spritzen. Das ist rigoros, schützt aber nicht vor neuerlichem Befall. Meine Pfirsichbäume erkrankten vor Jahren so schlimm, dass ich den Wuchs um die Hälfte zurückschneiden musste. Durch meine Suche in der Bibliothek habe ich erfahren, dass man dem Pilz am sichersten zu Leibe rückt, indem man rund um den Baum Knoblauch pflanzt. Der Stigmina carpophila verträgt die Ausdünstungen nicht. Düngt man dann noch mit Tonerde und Netzschwefel, ist es um den Pilz geschehen. Entdeckt habe ich das Geheimrezept in einem Buch, das sich Dr. Merediaths Standardwerk nennt. Es erschien 1834 und ist seit Jahrzehnten vergriffen.
Mein Garten. Es gäbe mehr über ihn zu berichten, als zwischen die Deckel eines Buches passt. Der Garten ist Sinnbild des Kosmos auf wenigen Quadratmetern. Das Zusammenspiel von Pflanzen und Insekten, von Klima und Mensch ist ein Thriller, der Rosemarys Fälle simpel erscheinen lässt. Hier brechen Kämpfe um den besten Platz an der Sonne aus. Das Wasser entscheidet, welche Spezies überlebt, welche die anderen verdrängt. Dürre zwingt zu Genügsamkeit, Überfluss trägt manchmal zur Vernichtung bei. Wer die Sprache des Gartens spricht, wird ein Freund der Stille. Wer die Stimmen des Gartens versteht, zieht sich vor dem Geplärr der Menschen zurück.
Mein Garten wurde zu einer Zeit angelegt, als der 12. Earl von Sutherly mit König William III. gegen die Jakobiten in Schottland kämpfte. Mein Garten überlebte die großen Kriege, mehrere Heuschreckenplagen sowie die Kartoffelfäule 1846. Auf der mittleren Terrasse des Schlosses bildet er ein Areal von 50 mal 60 Yards. Die Erde wurde vor Jahrhunderten händisch heraufgeschafft.
Mein Garten ist halbschattig. Morgens taucht der Burgschatten ihn in blaugraue Farben. Gegen Mittag beginnt die Sonne ihn zu erobern. Sie kitzelt die Stock- und Heckenrosen, die am meisten Wärme brauchen, sie arbeitet sich durch die Irisbeete und den Phlox, erreicht die Königskerzen und den Rittersporn, bis das Licht zuletzt all meine Bäume und Sträucher durchstrahlt, das Topiarium und den mittelalterlichen Blumentempel, der erst im 18. Jahrhundert errichtet wurde. Es ist ein kleiner Garten, verglichen mit dem, was englische Gartenkunst an weitläufiger Pracht hervorgebracht hat. Er erstreckt sich auf dem einzigen Grundstück, das mir verblieben ist. Vielleicht ist der Garten deshalb mehr als ein Aufenthaltsort für mich. Er ist mein Körper, meine Gedanken und Träume, in ihm laufen meine Nervenbahnen, fließt mein Blut.
Der April bietet noch kein Freilandgemüse, doch aus dem Glashaus in der westlichen Ecke werde ich Rhabarber und die ersten Frühlingszwiebel holen, bevor Rosy von der Arbeit kommt. Oft ist es schon dunkel, wenn der Kombi die Serpentinen hochklettert. Manchmal kommt sie so spät, dass ich das Essen warm gestellt habe. Auch wenn ich schon im Bett liege, lasse ich es mir nicht nehmen und laufe im Pyjama in die Küche. Wir sitzen beisammen, sie isst, ich mag nicht viel reden und schaue ihr zu. Später schlüpfe ich ins Bett und warte, bis im Bad das Licht ausgeht. Im Dunklen liegen wir beieinander.
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