Der Killer wartet
empfand er es oft. Und das jazzigste aller Instrumente war das Saxophon, ein Instrument, das bei jedem Spieler einen völlig anderen, sehr persönlichen Klang hatte.
Moeller spielte wie in Trance.
Er war in eine eigene Welt entrückt. Eine Welt der Töne und des Klangs und der Freiheit. Denn nichts war vorgeschrieben. Alles konnte passieren. Die Musik entstand aus dem Augenblick. Ein kreativer Akt, der nicht wiederholbar war. Entweder es ging oder es ging daneben. Es gab keine Sicherheit, keine Noten, an die man sich klammern konnte.
Allenfalls ein harmonisches Gerüst oder eine Baßlinie. Und auch dieses Gerüst ließ sich durchbrechen. Moellers Finger bewegten sich mit atemberaubender Schnelligkeit über die Tasten des Instruments, einem Altsaxophon in Es. Seine Töne wurden jetzt leiser, lyrischer. Gefühlvoll phrasierte Passagen lösten die herausgerotzten, kantigen Töne ab. Moeller hatte längst vergessen, in welcher Tonart er jetzt eigentlich hätte sein müssen. Er spielte einfach. Ein anderer schien seine Lippen und seine Finger zu bewegen und zu koordinieren.
Vielleicht der Gott des Jazz persönlich oder der Saxophon-Geist von John Coltrane. Das waren die Augenblicke, für die Markus Moeller lebte. Und dann mischte sich in dieses tiefe Feeling plötzlich etwas anderes.
Eine Dissonanz, gegen die jeder Kiekser von Coltrane wie eine Offenbarung geklungen hätte.
Ein schriller Laut, der immer eindringlicher in Moellers Musik hineinschnitt.
Selbst durch den Kopfhörer mit den dicken Muscheln war es nun unüberhörbar.
Eine Sirene!
Moeller fluchte leise vor sich hin, was sein uraltes Vierspur-Aufnahmegerät für die Nachwelt dokumentieren würde.
Er nahm den Kopfhörer ab und pfefferte ihn auf einen ziemlich durchgesessenen Sessel, den er in seinem Homestudio abgestellt hatte. Dann seufzte er und ging zum Fenster.
Die Sirenen wurden nicht durch seine Kollegen von der Schutzpolizei und auch nicht von Krankenwagen verursacht.
Es war die Feuerwehr.
Moeller erkannte das am Klang.
Er sah hinaus in die Dunkelheit, sah die Blinklichter aufblitzen und hörte eine weitere Sirene herannahen, noch bevor die erste verklungen war.
Moeller zählte. Drei, vier, fünf Fahrzeuge.
Das mußte ein Großeinsatz sein.
Er öffnete das Fenster. Seine Wohnung befand sich im dritten Stock eines schmucklosen grauen viergeschossigen Hauses in Lüdenscheid-Brüninghausen. Eine der zahlreichen ehemaligen Werkswohnungen der Firma Plate-Stahl. Auf'm Aul hieß die Straße, an der diese Häuser lagen - was auch immer diese Straßenbezeichnung nun bedeuten mochte.
Auf der nahen Hauptstraße brauste indessen ein Feuerwehrfahrzeug nach dem anderen daher.
Da mußte wirklich etwas Bedeutendes passiert sein.
Und Moeller war weder der erste noch der einzige, der auf diesen Gedanken gekommen war. Unten, auf dem kurzgeschnittenen Rasen vor dem Haus standen ein paar Leute und schauten sich das Schauspiel an.
Ein Mann im Unterhemd und einer violetten Jogginghose, der die Rechte so tief in der Hosentasche vergraben hatte, daß die Hand sich irgendwo in Höhe der Knie befinden mußte, und in der Linken eine Bierdose hielt, bemerkte Moeller und drehte sich zu ihm herum.
"Na, wieder die ganze Nacht am Dudeln?" rief er. "Du kennst aber auch kein Erbarmen mit der arbeitenden Bevölkerung, woll, Moeller?"
Es gibt Leute, die an jeder möglichen oder unmöglichen Stelle ein woll einfließen lassen.
Es gibt aber auch jene, die stattdessen wo' sagen, mit kurzem, fast als a gesprochenen o. Das ist ein Unterschied, der fast so wesentlich ist wie der zwischen evangelisch und katholisch.
Moeller hatte für sich irgendwann mal entschieden, daß er weltläufig war, und so sagte er weder woll noch wo'. In dieser Frage war er also gewissermaßen neutral.
Was die Frage anging, die der Mann im Unterhemd gestellt hatte, allerdings nicht.
Er haßte es, wenn man ihm mit Vorurteilen gegen Beamte kam.
"Willst du damit etwa sagen, daß ich nicht zur arbeitenden Bevölkerung zähle, ja?" rief Moeller hinunter.
Der Mann im Unterhemd zuckte die Achseln.
"Nachts dudelst du mit deinem Horn rum und tagsüber schläfst du dich dann in deiner Dienststube aus. Dat iss ein Leben, woll?"
"Der Unterschied ist doch nur, daß du deine Abende im Brauhaus verbringst!" meinte einer der anderen Männer.
Der Mann im Unterhemd machte eine wegwerfende Handbewegung. "Ist doch wahr!" meinte er dann. "Was arbeitet der denn schon? Soviele Gangster gibt es doch gar nicht hier
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