Der Killer wartet
Helmvisier.
Dann gab er dem Stuhl einen Tritt.
Etwa zwei Meter entfernt befand sich eine Stufe. Der Stuhl fiel krachend zu Boden. Ein dumpfes Ächzen kam unter dem Klebeband hervor. Wolfs Augen waren vor Angst geweitet. Er lag hilflos am Boden und versuchte verzweifelt, sich zu bewegen. Wie ein eingesponnenes Insekt in einem Spinnennetz.
Der Maskierte nahm die Waffe wieder an sich und betrachtete den am Boden Liegenden.
Dann hob er die Waffe, zielte und drückte ab.
Wolf schloß die Augen.
Es machte klick.
Die Pistole war nicht geladen. Ein dumpfes Lachen dröhnte unter dem Helm hervor, während auf Wolfs Stirn die Schweißperlen glitzerten.
*
Moeller setzte das Saxophon an den Mund. Ein rauher, knarrender Ton kam heraus und bildete das erste Element einer flirrenden Tonkaskade.
Moeller schloß die Augen.
Über der leicht swingenden Baßlinie des Miles Davis-Standards SO WHAT entwickelte er seine Improvisation. Ein steter Fluß roher, kantiger Töne sprudelte aus seinem Horn.
Appeggi, die manchmal etwas neben der Tonart waren.
Dazwischen auch ein paar Kiekser und Obertöne, von denen sich nur vermuten ließ, in wie weit sie in dieser Form tatsächlich beabsichtigt waren oder nur in Kauf genommen wurden.
Aber was für einen John Coltrane erlaubt gewesen war, das durfte auch Moeller. In dieser Hinsicht war Moeller Anar-chist. Er kannte keinen Respekt. Nicht vor Lebenden oder Toten und auch nicht vor den Ohren und Nerven seiner Zeitgenos-sen und Nachbarn. Vielleicht spielte Moeller etwas schief, aber dafür klang es interessant. Moeller spielte mit mehr In-spiration, als so manche hochgelobte Jazz-Größe. Fand er jedenfalls selbst.
Sein Solo entwickelte sich. Immer gewagtere Tonsprünge und Läufe reihten sich aneinander. Moeller spielte sich in eine Art Rausch. Außer ihm selbst und seinem Instrument war da nur noch der Kopfhörer mit den dicken Muscheln, auf dem er Baß, Klavier und Schlagzeug hörte, die er zuvor mit Hilfe eines Roland-Sound-Moduls und eines Keybords digital eingespielt hatte. Lediglich das Saxophon nahm er akkustisch auf und mischte die Tonspur hinterher mit dem Rest ab. "Alle wirklich Großen sind längst tot!" pflegte Moeller manchmal zu sagen, weil er das für ein Bonmot hielt. Und er dachte dabei an Charlie Parker, Miles Davis, John Coltrane und vielleicht noch an Duke Ellington. Und er fragte sich regelmäßig, warum er selbst eigentlich noch lebte. Vielleicht, weil du dir einen gesünderen Beruf gewählt hast! dachte er dann.
Moeller hatte irgendwann in grauer Vorzeit mal vor der Alternative gestanden: Entweder ein unsicheres Leben als Musiker oder ein sicherer Job im öffentlichen Dienst.
Und weil er irgendwo in seinem tiefsten Inneren gewußt hatte, daß er eben doch nicht so groß wie Coltrane war, hatte er den sicheren Weg gewählt. Er war Polizist geworden.
Aber war der Kampf gegen das Verbrechen nicht auch etwas, wofür es zu leben lohnte? Der Gerechtigkeit zum Sieg verhelfen und die Schwachen zu schützen? Moeller mußte in diesem Zusammenhang immer an die Batman-Comics denken, die er als Junge gelesen hatte. Die Begeisterung für Batman war eher dagewesen als die für John Coltrane, die Leidenschaft für das Recht und die Gerechtigkeit eher als jene für den Jazz.
So war er jetzt Polizist. Kripo-Beamter, genauer gesagt.
Und im tiefsten Inneren wußte Moeller, daß er mit dieser Arbeit der Menschheit besser dienen konnte, als mit den unfreiwilligen Kieksern aus seinem Saxophon.
Inzwischen hatte er 15 Dienstjahre bei der Kriminalpolizei Lüdenscheid hinter sich. Und er war immer noch Kriminalkommissar in der Gehaltsstufe A12. Weiter war er nie gekommen. Schon von seinem Äußeren her wirkte Moeller ziemlich unangepaßt. Sein langes, zu einem Pferdeschwanz zusammengefaßtes Haar, der Drei-Tage-Bart und die kaputte Jeans. Moeller hielt sich für einen Nonkonformisten und schob die Tatsache, daß er es nie weiter als bis zum Kriminalkommissar im Dezernat für Tötungsdelikte, landläufig Mordkommission genannt, gebracht hatte, diesem Umstand zu.
Aber wenn er ehrlich war, dann hatte er auch nie einen besonderen Ehrgeiz an den Tag gelegt. Sein Herz gehörte jedenfalls nicht dem Job. Nicht den dicken Akten mit den penibel aufgelisteten Beweisstücken und Indizien. Nicht den seitenlangen Gutachten über Haarreste und Blutspuren und Fasern irgendwelcher Pullover. Sein Herz gehörte dem Jazz, dieser freiesten und unangepaßtesten aller Musikformen. Der Jazz war wie er, so
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