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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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schüttelte traurig den Kopf, aber er drückte Peter fest die Hand. »Möge Avallach mit dir sein.«
    Die letzten Nebelschwaden wirbelten davon, und Peter hörte die Rufe von Männern aus dem Park.
    »Wir müssen fort«, sagte Tanngnost und ließ die Hand des Jungen los.
    »Peter«, sagte die Dame. »Komm zu mir nach Hause. Bald.«
    »Ja«, pflichtete die Hexe ihr bei. »Und pass gut auf deine Augen auf. Eines davon gehört mir.« Sie grinste und zeigte dabei ihre langen grünen Zähne.
    Die Dame tauchte ihre Hand ins Wasser der Bucht. Eine Welle brandete unter dem Schiff auf und hob es sanft von den Felsen. Hinter dem Schiff stieg die Welle an und trieb es rasch davon.
    Peter stand am Ufer, bis er das Schiff nicht mehr erkennen konnte, bis er oben vom Fußweg das Knacken eines Funkgeräts und schwere Schritte hörte. Dann huschte er davon und verschwand in den Schatten.
     
    Die Sirenen wurden leiser, als Peter den Park immer weiter hinter sich ließ. Er schlich sich nicht länger durch Seitengassen, sondern ging auf den Hauptstraßen. Die harten und misstrauischen Blicke der Menschen beachtete er nicht weiter, und es war ihm egal, ob er auffiel. Er achtete auch kaum darauf, wo er hinging.
So viel ist verloren
, dachte er, und das Herz wurde ihm so schwer, dass er kaum atmen konnte.
Was habe ich bloß getan?
Erneut sah er das enttäuschte Gesicht der Dame vor sich und den Ausdruck in Nicks Augen, als er gestorben war. Peter biss die Zähne zusammen, verdrängte die Bilder aus seinem Kopf und schlurfte weiter durch die Nacht. Er konzentrierte sich einzig und allein darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, als ob er all den Schmerz einfach hinter sich zurücklassen könnte.
    Er verließ Manhattan und bemerkte kaum, wie er die Brooklyn Bridge überquerte. Schon bald wichen die Wolkenkratzer Lagerhäusern, wenig später Mietshäusern und vereinzelten Wohnhäusern. Er betrat den Prospect Park und stand schon bald direkt vor der grünen Kletterschildkröte.
    »Nick«, flüsterte Peter. »Es tut mir so leid.«
    Die Schildkröte erwiderte seinen Blick mit ihrem albernen Grinsen.
    Tränen brannten Peter in den Augen. Er wischte sie weg und biss die Zähne zusammen. »So verdammt leid.« Die Tränen wollten nicht aufhören zu fließen, und auf einmal schüttelte ihn ein heftiges Schluchzen. Er sackte an der Schildkröte zusammen, und die Tränen für Sekeu, Abraham, Goll, seine Mutter, Nick und all die Teufel, die für ihn gestorben waren, rannen ihm über die Wangen. Er rutschte ins Gras. Die Liste war lang, aber Peter saß mit zusammengekniffenen Augen da, die Arme fest um die Knie geschlungen, bis ihm jeder Name eingefallen war – jeder einzelne.
    Schließlich kam eine steife Brise auf. Peter öffnete die Augen und atmete tief ein. Die Luft war warm und schmeckte nach einer Spur Frühling. Seine Haut kribbelte, und plötzlich kam ihm die Nacht lebendig vor, als beobachteten ihn die Bäume, Vögel und Insekten um ihn herum. Er bemerkte einen Lichtfunken, und dann noch einen und noch einen. Sie schossen auf ihn zu, flitzten übers taufeuchte Gras hinweg und flogen im Kreis um ihn herum, immer und immer wieder.
»Feenvolk«
, sagte er verwundert. Etwas Blaues schoss dicht an seinem Kopf vorbei, wirbelte herum und verharrte schwebend direkt vor ihm. Es war ein Pixiemädchen mit weißem Spinnwebenhaar. Es fauchte leise und gesellte sich dann wieder zu seinem Schwarm, um weiter durch die Bäume zu tollen.
    Peter hörte ein Flüstern in den Blättern, eine Stimme, die ihn zum Tanz mit der Nacht bat. Es war sein Vater. Er erinnerte sich, wie der Gehörnte mit ihm und den Teufeln ums große Feuer getanzt war und ihnen einen Platz in Avalon gewährt hatte.
Du hast mich auserwählt, Vater, um in der Neckerbucht an deiner Seite zu stehen und zu kämpfen. Du hast mir die Ehre erwiesen, nicht Ulfger, sondern mir
.
    Langsam begriff Peter, und er fing an zu grinsen. Sein Vater hatte ihm tatsächlich eine Gabe hinterlassen, eine große Gabe, und dabei handelte es sich nicht um das tödliche Schwert. SeinVater hatte ihn zu einem der Seinen gemacht, als niemand sonst ihn gewollt hatte, weil der Geist des Gehörnten Herr über alles Wilde und Ungezähmte war, ob es nun zu den Heiden oder zu den Sidhe gehörte, zu dieser Welt oder zum Feenreich. Und nun hatte Peters Vater seinen Geist an ihn weitergegeben.
    Der Junge sprang auf und lachte lange und laut, als gehörte der Park ihm. Sollte es ruhig jemand wagen, ihn herauszufordern. Er

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